Federer, Nadal, Djokovic - Die ewige G.O.A.T.-Frage

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Wem von den Big Three Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djoković die Bezeichnung „The Greatest of All Time" gebührt, spaltet seit Jahren die Tenniswelt. Reicht ein Blick auf die Statistik, um die richtige Antwort zu finden? Oder muss man auch andere Kriterien einbeziehen? Vielleicht handelt es sich gar um eine Glaubensfrage. Der Versuch einer Einordnung.

Die komplexe Parameter-Findung

Seit Monaten stand es fest, dass Novak Djoković am 8. März 2021 einen weiteren Meilenstein in seiner Karriere setzen wird. Denn am vergangenen Montag startete der Serbe zum 311. Mal die Woche an der Spitze der Tennis-Weltrangliste und hievt sich zum alleinigen Rekordhalter vor Roger Federer.

Bei Grand-Slam-Titeln hinkt der amtierende Australian-Open-Champion mit 18 Majors dem Schweizer ebenso um zwei Trophäen hinterher wie auch dem Spanier Rafael Nadal. Doch ist die Anzahl an Turniersiegen auf höchster Ebene tatsächlich der geeignete Gradmesser, den Größten aller Zeiten zu definieren? Und kann man überhaupt einen G.O.A.T. des Tennissports küren, bevor die entsprechenden Kandidaten ihre aktiven Laufbahnen beendet haben?

nadal-djokovic-federer-bester-spieler-1024x683Wer ist der Beste aller Zeiten? Bei der G.O.A.T.-Frage scheiden sich die Geister!MehrWeniger

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Und selbst die nackten Zahlen geben keine eindeutigen Aufschlüsse. Bei Grand-Slam-Triumphen liegen Federer und Nadal wie erwähnt mit jeweils 20 Erfolgen gleichauf. Neben seinen Titelgewinnen stand Federer aber elf weitere Male im Finale, bei 15 Major-Antreten war im Halbfinale Schluss. Nadal kommt im Vergleich auf acht Finalniederlagen, sechsmal erreichte er die Vorschlussrunde. Djoković kann wiederum seinen 18 Titeln zehn Endspiele und elf Semifinals hinzufügen.

Aber: Während Federer eine Matchbilanz bei Grand Slams von 362:59-Siegen aufweist, was einer Erfolgsquote von 85,99 Prozent entspricht, steht Nadals Quote von 87,73 Prozent über jener des Maestros. Der Djoker rückte dem Sandplatzkönig nach seinem Melbourne-Triumph mit einer Siegquote von 87,07 Prozent ein Stück näher.

Schwieriger Vergleich der Generationen

Unerreicht ist in dieser Hinsicht Björn Borg. Der schwedische Eisblock, der nach elf Major-Titeln mit nur 26 Jahren seine Karriere beendete, führt die Statistik mit einem Siege-Niederlagen-Verhältnis von 141:17 und der schier unfassbaren Erfolgsquote von 89,24 Prozent klar an.

Doch just die Grand-Slam-Bilanz des fünfmaligen Wimbledon-Champions kehrt eine ganz andere Problematik hervor: Wie vergleicht man Spieler unterschiedlicher Generationen miteinander? Björn Borg, John McEnroe und Jimmy Connors haben beispielsweise zu ihrer Zeit nur selten bei den damals noch weniger bedeutenden Australian Open aufgeschlagen, Letzterer fehlte sogar fünf Jahre lang in Paris aufgrund eines Rechtsstreits mit der ATP. Und wo würde sich Rod Laver in der Wertung einreihen, der von 1963 bis 1967 als Profi nicht an den Grand Slams teilnehmen konnte? Eine Weltrangliste gab es zu jenem Zeitpunkt auch noch nicht.

Jeder Bilanz sein Spitzenreiter

Statistisch gesehen können diese Legenden des Sports mit den Big Three unserer Zeit deshalb nicht mithalten. Von den aktuellen Superstars war jedenfalls Rafael Nadal mit 19 Jahren der jüngste Grand-Slam-Sieger, auch bei seinem 18. Major-Titel war der Spanier kurz nach seinem 33. Geburtstag jünger als Federer und Djoković. Die kürzeste Zeitspanne zwischen dem Premieren-Major und dem 18. Grand-Slam-Erfolg ließ der Serbe verstreichen. Bei seinem letzten Triumph auf einer der vier größten Bühnen des Tennissports war Federer 36 Jahre alt, bis zu diesem Alter bleiben Nadal und Djoković noch zwei bzw. drei Jahre Zeit.

Und wie verhält sich das Abschneiden bei anderen Turnieren? 103 ATP-Titel bejubelte Federer bisher, sechs weniger als Spitzenreiter Connors. Der 86-fache Turniergewinner Nadal hat seinerseits achtmal weniger triumphiert als Ivan Lendl, aber vier Titel Vorsprung auf Djoković. In der Big-Title-Wertung, die sich aus…

  • Grand Slams
  • ATP Finals
  • ATP-Masters-1000-Titel und
  • Olympia

…zusammensetzt, führt der Serbe allerdings mit 59 Triumphen vor Nadal mit 56 und Federer, der 54 solcher Titel aufweist.

Weltrangliste führt zu keinem klaren Ergebnis

pete sampras tennis

Bild zeigt Pete Sampras

Im ATP-Ranking wird Novak Djoković seine Spitzenposition in absehbarer Zeit nicht abgeben und die Führung mit den meisten Wochen als Nummer eins auf Roger Federer weiter ausbauen. Rafael Nadal taucht in dieser Wertung mit 209 Wochen am ATP-Thron deutlich hinter seinen beiden Konkurrenten auf, dazwischen werden noch folgende Spieler geführt:

  • Pete Sampras (286)
  • Ivan Lendl (270)
  • Jimmy Connors (268)

Von seinen 310 Wochen als Weltranglistenführender hielt Federer die Stellung unglaubliche 237 Montage hintereinander, danach folgen Connors (160) und Lendl (157). Die längste Serie von Djoković über 122 Wochen riss im November 2016, Nadal ist in dieser Kategorie abgeschlagen, er lag 57 aufeinanderfolgende Wochen an der Spitze.

Federer in Spiegel-Analyse vorne

Wie die Spieler in heiklen Matchsituationen agieren, fasst die ATP in einem „Under Pressure Rating" zusammen. Dabei werden die Anteile genutzter Breakchancen, abgewehrter Breakbälle, geholter Tiebreaks und gewonnener Entscheidungssätzen summiert. Rating-Führer Djoković weist dabei einen Wert von 248,6 auf, gefolgt von

  • Sampras (241,9)
  • Nadal (240,8)
  • Federer (239,4)

infoDer Spiegel hat einige der oben durchleuchteten Daten gewichtet und zusammengeführt und kommt dabei zum Schluss, dass Roger Federer der Titel des Größten aller Zeiten gebührt. Auf Platz zwei steht laut Analyse des Hamburger Nachrichtenmagazins Novak Djoković, Rafael Nadal und Pete Sampras teilen sich den dritten Rang.


Dem Schweizer rennt die Zeit davon

Tatsache ist aber, dass Federer alleine schon altersbedingt den Tennisschläger aller Voraussicht nach vor seinen beiden Dauerrivalen über den Kamin hängen wird. Der 39-Jährige hat bereits 1513 Tour-Matches in den Beinen, mehr als jeder andere in der Tennisgeschichte. Der fünf Lenze weniger zählende Nadal kommt auf bisher gespielten 1213 Partien auf der ATP-Tour, der wiederum ein Jahr jüngere Djoković auf 1135.

Deshalb fragt sich die Tenniswelt, ob der Schweizer dem Spanier und dem Serben überhaupt noch die Stirn bieten kann. Dass er seit 14 Monaten kein Turnier mehr bestritten hat, macht die Ausgangslage für den eidgenössischen Jahrhundertsportler nicht unbedingt einfacher.

Und im Head-to-Head mit seinen Kontrahenten hatte der Baseler ohnehin zumeist das Nachsehen. Gegen Nadal lautet seine Bilanz 16:24, gegen Djoković 23:27. Etwas ausgeglichener ist das Match-Verhältnis zwischen den zwei jüngeren Akteuren, der Belgrader führt gegen den Mallorquiner mit 29:27-Siegen.

Welche Bedeutung hat ein Spieler für den Sport?

Doch sollte man nicht auch andere, vielleicht schwerer messbare Kriterien berücksichtigen, wie jene über die Bedeutung eines Spielers für die Entwicklung, Stellung und Popularität des Sports? Denn selbst wenn ihm seine Rivalen statistisch näher rücken oder womöglich sogar sportlich überholt haben, ist das Vermächtnis, das Federer dem Tennis auch abseits des Courts hinterlassen wird, wohl kaum zu toppen.

  • 13 Mal wurde er von der ATP mit dem Tour Sportsmanship Award ausgezeichnet.
  • Fünf Mal zum Spieler des Jahres und ITF-Weltmeister ernannt.
  • Und dass Federer 2020 der bestbezahlte Sportler war, obwohl er fast die gesamte Saison über kaum auf den Platz stand, drückt ebenfalls sein Alleinstellungsmerkmal aus.

Djoković haftet Image-Problem an

Apropos Gesamtbild: Auch Nadal holt sich mit seinem bescheidenen Auftreten und stets wohl bedachten Worten öffentliche Anerkennung und Sympathiepunkte. Djoković wird hingegen deutlich kritischer beäugt, was nicht zuletzt auf seine oft polarisierenden Aussagen zu teils brisanten Themen zurückzuführen ist. Allein im vergangenen Jahr geriet er nach seinem dezidierten Nein zu einer Corona-Schutzimpfung und dem obskuren Statement, giftiges Wasser könne durch die Kraft der Gedanken in Flüssiges mit heilender Wirkung umgewandelt werden, in die mediale Schusslinie.

Die vom 33-Jährigen nach der ersten Pandemie-Welle organisierte Adria-Tour, die Disqualifikation bei den US Open sowie die ohne Absprache mit den Topstars gegründete Spielergewerkschaft waren seinem Image auch nicht gerade dienlich. Dem nicht genug, tragen regelmäßige verbale Rundumschläge von Papa Srdjan ebenso wenig zu einem atmosphärischen Spannungsabbau bei.

Profis betrachten Dreikampf nüchtern

daniil medvedev

Medvedev: „Sie haben nicht nur Rekorde gebrochen, sie haben sie zertrümmert."

In der Szene wird die Diskussion über den Größten aller Zeiten aber wesentlich unaufgeregter geführt als in der Öffentlichkeit. So will sich etwa Melbourne-Finalist Daniil Medvedev zu dieser Frage nicht festlegen: „Ihre Zahlen sind absurd. Sie haben nicht nur Rekorde gebrochen, sie haben sie zertrümmert. Deshalb sind für mich alle drei die besten Tennisspieler der Geschichte."

Ähnlich bringt es der Münchner Sascha Bajin, der Naomi Osaka zu ihren ersten zwei Major-Titeln coachte und jetzt die ehemalige Weltranglistenerste Karolina Plíšková betreut, auf den Punkt: „Wir sollten einfach genießen, dass die Big Three noch so lange mitspielen können und hoffen, dass sie noch ein paar Male aufeinandertreffen."

Für Nadal hat Thema keine Signifikanz

Goran Ivanišević sieht wenig überraschend seinen eigenen Schützling im virtuellen Wettlauf der Big Three vorne: „Für mich ist Novak der beste und kompletteste Spieler aller Zeiten." Doch räumt der Wimbledon-Sieger von 2001 ein, dass letztlich persönliche Vorlieben die Meinungen auseinandergehen lassen. „Für jemand anderen ist Nadal oder Federer der Beste. Es wird ein interessantes Diskussionsthema sein, wenn ihre Karrieren vorbei sind."

Nadal stimmt auf seine typisch pragmatische Art dem Kroaten zu: „Wir werden sehen, was in den kommenden Jahren passiert: was Djoković macht, wie Federer bei seiner Rückkehr agiert und wie ich selbst abschneiden werde. Wenn alles gut geht, werden wir das Thema nach Ende unserer Karrieren analysieren." Die Zahlen, so der 34-Jährige, sollten Leute analysieren, die über ein großes historisches Wissen über der Tennissport verfügen. „Aber ehrlicherweise ist mir das Ganze nicht so wichtig."

Djoković gesteht hingegen, in diesem Dreikampf seinen ultimativen Antrieb zu finden: „Roger und Rafa inspirieren und motivieren mich. Ich denke schon, dass es darum geht, mehr zu gewinnen als der andere. Wir pushen uns gegenseitig ans Limit."

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Autor: Tobi
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