Analyse: Die Baustellen des Novak Djokovic
Ungewohnte Fehler, mangelnde Ausdauer und ein scheinbar lädierter Ellenbogen: Das überraschend frühe Ausscheiden in Monte-Carlo zeigt gleich mehrere Defizite auf, die Novak Djokovic bis zu den French Open dringend beheben sollte. Grund zur Panik besteht allerdings nicht. Denn bis zum Beginn des zweiten Saison-Majors bleibt dem Serben genug Zeit.
Schwache Siegquote im Fürstentum
Das ATP1000 in seiner Wahlheimat scheint Novak Djokovic einfach kein Glück zu bringen. Seit seinem zweiten und letzten Titelgewinn in Monte-Carlo vor mittlerweile acht Jahren hat der im Fürstentum lebende Serbe sechs von zwölf Matches im Country Club verloren. Auch bei der 116. Auflage vergangene Woche war nach einem Freilos zum Auftakt in Runde drei gegen den Italiener Lorenzo Musetti Endstation.
Dabei galt der Superallrounder, unabhängig vom Untergrund, lange Zeit als nahezu unschlagbar. Seit der letzten Saison sind aber deutliche Risse in seiner vermeintlichen Übermacht erkennbar. Mit dem zurückgetretenen Roger Federer und dem immer verletzungsanfälliger werdenden Rafael Nadal begegnet Djokovic seine historisch größten Rivalen zwar gar nicht mehr oder nur noch selten auf der Tour. Bei der Festigung seiner Stellung als bester Tennisspieler der Welt wirken ihm aber einige Faktoren entgegen.
Viele Auszeiten
Langsam, aber sicher gewöhnt sich die Nummer eins der Welt an lange Turnierpausen. Grund dafür ist bekanntlich die persönliche Entscheidung, auf die Covid-19-Schutzimpfung zu verzichten, wodurch er schon zahlreiche Highlights 2022 verpasst hatte und auch bei den Masters-Turnieren in Indian Wells und Miami im März nicht antreten durfte.
Die fehlenden Matches auf Topniveau zwingen Djokovic, bei prestigeträchtigen Veranstaltungen gegen im voll im Saft stehende Widersacher antreten zu müssen, die Woche für Woche den Rhythmus des hohe Tempos in der Weltspitze verinnerlicht haben. Selbst Trainingsspielchen gegen prominente Kollegen kompensieren dieses Manko kaum, was Musetti in Monte-Carlo zweifellos half, seinen bisher wichtigsten Karrieresieg einzufahren.
Wackelige Vorhand
Auffällig waren in Monaco vor allem die haarsträubenden Fehler mit der Vorhand. In den seltenen Augenblicken, in denen Djokovic aus seiner Komfortzone gedrängt wird, bemüht er sich krampfhaft, die Grundschläge wieder sauber zu treffen, kommt aber dadurch oft zu spät zum Ball und überzieht den Schlag.
An der Côte d'Azur versuchte er, diese Schwäche teilweise mit überhasteten Netzangriffen zu überspielen, um die Ballwechsel zu verkürzen, was auf physische Defizite hindeutet.
Fragezeichen um Ellenbogen
Selbst beim sonst so soliden Service wackelte Djokovic, viel zu viele Doppelfehler lassen darauf schließen, dass er das Vertrauen in die gesamte Aufschlagbewegung verlor. Wohl oder übel wird auch der 22-fache-Grand-Slam-Champion seinem gesetzten Alter Tribut zollen müssen, vielleicht sind diese Schwächen erste Anzeichen, in wenigen Wochen feiert der Rechtshänder seinen 36. Geburtstag.
Innere Dämonen
Gegen Ende des zweiten Satzes ließ sich Djokovic durch eine Fehlentscheidung von Schiedsrichterin Aurelie Tourte völlig außer Tritt bringen. Der Belgrader schmiss nach dem umstrittenen Linienball kurzerhand die Nerven weg und eröffnete Musetti damit erst die Chance, überhaupt ins Match zurückzufinden.
Solche Aussetzer des 93-maligen Titelgewinners auf der ATP-Tour kennt man aus der Vergangenheit zuhauf. Wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, ärgert sich Djokovic üblicherweise mehrere Games lang, auch sein Spiel wird danach negativ beeinträchtigt.
Zwar wird frühe Niederlage in Monte-Carlo die Hoffnungen des zweimaligen French-Open-Siegers auf einen neuerlichen Triumph in Roland Garros nicht schmälern, in der Umkleidekabine dürfte aber sehr wohl ein geflunkert werden, dass einer der Hauptattraktionen am Bois de Boulogne verwundbar ist.
Viel Arbeit bis Paris
Anlass, den Panikknopf zu drücken, besteht für den dominierenden Tennisspieler der letzten Jahre im Augenblick dennoch nicht, beunruhigend sollte die Monte-Carlo-Schlappe jedoch allemal sein. Djokovic muss sich definitiv neu sortieren und vor den bevorstehenden Masters-Turnieren in Madrid und Rom seine Form finden, um in Paris seine Topleistung abrufen zu können.
Spielerisch gilt es an der Vorhand und dem Aufschlag zu arbeiten, auch physisch sollte Djokovic zulegen, immerhin werden die offenen französischen Meisterschaften im Best-of-Five-Format ausgetragen.
Die größte Gefahr geht für Djokovic, der diese Woche beim von ihm mitorganisierten 250er in Banja Luka antritt, von einem spielfreien Tag aus, was man ihm allerdings kaum als Schwäche auslegen kann. Doch diese ständigen Pausen bedrohen ihn sicher mehr als jeder noch so starke Gegner. Den Weltranglistenersten abzuschreiben, wäre dennoch ein schwerer Fehler.