US-Open-Siegerin Coco Gauff: Vorbild auf und neben dem Platz

tobi-redaktionTobi
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Mit dem Titelgewinn bei den US Open erfüllte sich Coco Gauff einen sportlichen Traum. Ihre Standpunkte zu gesundheitlichen und sozialpolitischen Themen zeugen aber auch von einer erstaunlichen Reife, die den neuen Superstar am Damen-Circuit noch mehr Substanz verleihen. Dabei vergisst man gerne, dass die Amerikanerin erst ein Teenager ist.

Tiefes Motivationsloch nach Wimbledon

Ich weiß nicht, wie all das wahr sein kann", strahlte Coco Gauff unmittelbar nach ihrem US-Open-Triumph mit der gewonnenen Silbertrophäe um die Wette.

Ich hoffe, dass es noch immer wahr ist, wenn ich morgen aufwache."

infoTatsächlich erschien der Weg zu ihrem ersten Grand-Slam-Titel ein wenig unwirklich. Ende Juni war die Amerikanerin in Wimbledon gleich zum Auftakt an Landsfrau Sofia Kenin gescheitert. Eine Niederlage, die ihr Selbstvertrauen beutelte und sie zum Beten um ihre Tenniszukunft veranlasste. Papa Corey zweifelte dermaßen danach an seinen Fähigkeiten als Coach, dass er sich selbst feuerte und Brad Gilbert in den Betreuerstab seiner Tochter integrierte.

Der Draht nach oben half offenbar genauso wie die Methoden des Predigers von „Winning Ugly", Gilberts Bestsellerbuch aus den Achtziger-Jahren. Aber auch das eigene Talent, der natürliche Antrieb und der besonnene Kopf können Wunder bewirken. Schließlich wirkt Gauff selbst von ihrem 180-Grad-Turnaround verblüfft. „Nach Wimbledon habe ich ernsthaft nachgedacht, die Saison zu beenden und mich auf das nächste Jahr vorzubereiten", hatte sie während der zweiten Turnierwoche in New York gestanden.

Elfmeterschützin gegen Torfrau

Statt das Handtuch zu werfen, mutierte der nordamerikanische Hardcourt Swing zum „Summer of Coco." Mit Gilbert und Co-Coach Pere Riba in ihrer Ecke rief sie ein halbes Dutzend Jahre voller Leistungssteigerungen in sechs komprimierten Wochen ab. Anfang August holte die Rechtsauslegerin in Washington ersten WTA-Titel auf 500er-Ebene, vor drei Wochen gewann sie in Cincinnati ihr erstes 1000er-Turnier. Und nach dem Sieg über Karolina Muchova am Donnerstag stand die 19-Jährige in ihrem zweiten Grand-Slam-Finale.

Nach einer Stunde dieses Showdowns sah es danach aus, als würde Cocos Sommer einen Tag früher enden als sie geplant hatte. Ihre Gegnerin Aryna Sabalenka spielte den ersten Satz so wie eine neue Nummer eins, die sie seit Montag auch ist. Punkt für Punkt agierte die Belarussin wie eine Fußballerin, die mit ihrer Vorhand den Elfmeter schoss. Gauff gab wiederum das Bild einer Torfrau ab, die versuchte, die richtige Ecke zu erraten.

Großer Erfolg für Coco Gauff: Im Finale der US Open gewann sie gegen Aryna Sabalenka.


Gauff erläuft jeden Ball

Die Teenagerin aus Florida hatte aber bereits drei Dreisatz-Matches bei diesem Turnier in den Beinen, in zwei davon war ebenfalls der erste Durchgang verloren gegangen. Gleich zu Beginn des zweiten Satzes wehrte sie zwei Breakbälle ab, brachte plötzlich ihre gewohnte Serviceleistung und hob die Fans mit einem spektakulären Vorhand-Passierball aus vollem Lauf erstmals aus den Sitzen.

Retrospektiv betrachtet repräsentierte dieser Schlag wohl den Wendepunkt in der Partie. Gauff gelang es mit ihren unvergleichlichen Defensivkünsten immer öfter, Sabalenka zu frustrieren. Die Powerhitterin mit dem markanten Tiger-Tattoo am Unterarm wurde ihrerseits mit ihrer Vorhandwaffe unsicherer, was das US-Laufwunder zusätzlichen Ansporn verlieh, jedem Ball hinterher zu jagen. Die Favoriten musste im Gegenzug ihre Schläge besser setzen - es misslang. In den letzten zwei Sätzen mimte Gauff die Penaltykillerin, die stets in die richtige Ecke sprang, Sabalenka die Schützin, die ihr Ziel verfehlte.

Sie hat sich unglaublich bewegt", sagte die Minskerin, die 46 Eigenfehler gegenüber 19 ihrer Bezwingerin produzierte.

Ich habe zu viel nachzudenken begonnen und dadurch meine Power verloren. Sie hat immer mehr zurückgebracht und ich leichte Bälle ins Out gespielt."
– Aryna Sabalenka analysiert, was schief gelaufen ist.

Spielanlage für das Finale umgestellt

Zwar verzeichnete Gauff nur 13 Winner, war im Entscheidungssatz aber entspannt genug, ihr Glück in der Offensive zu suchen. Fünfmal breakte sie ihre Widersacherin und zeigte auch beim Ausservieren auf den ersten Major-Triumph ihrer Karriere vor 23.000 grölenden Zuschauern keinerlei Nerven. Der Matchball, ein Rückhand-Passierball entlang der Linie nach einem Sprint über den ganzen Court, stand stellvertretend für die gesamte Partie.

Viel dramatischer wird's nicht", meinte die Tochter eines ehemaligen College-Basketballers und einer früheren Siebenkämpferin. Über weite Strecken habe sie lediglich versucht, irgendwie im Match zu bleiben.

Ich wusste, dass sie mit harten Schlägen kommen würde und ich nicht gewinnen könnte, wenn ich so gespielt hätte, wie ich es am liebsten tue. Winner zu schlagen macht mir eigentlich mehr Spaß als nur Bällen nachzujagen."

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Dankbare Interviewpartnerin

Der Turniersieg im Big Apple war Gauffs erster Grand-Slam-Titel, die Promi-Dichte auf den Rängen und die Glückwunschbekundungen von aktuellen und früheren US-Präsidenten belegen jedoch, dass sie längst ein Superstar ist. Allein der Vorname - Coco - gilt bereits als Marke für Erfolg. Gauff wird nicht nur wegen ihres Tennis verehrt, sondern auf aufgrund dessen, wer sie ist, wie sie auftritt und was sie sagt.

Ihre substanziellen Statements in den diversen Presseräumen dieses Turniersommers waren ebenso ermutigend wie ihre Matches selbst. „Du gibst mir das Gefühl, ein besserer Mensch sein zu wollen", verneigte sich sogar Allzeit-Ikone Chris Evert vor Gauff, die sich stets sanft und bescheiden, aber niemals bemitleidend gibt; sozialpolitisch interessiert und engagiert, aber nie selbstgerecht; nachdenklich und gläubig, aber ebenso fröhlich wie witzig. Und sie zeigt sich bereit, jede Frage, die ihre gestellt wird, so offen und ehrlich wie möglich zu beantworten.

Bewundernswerte Selbstreflexion

In den letzten Wochen gab Gauff u.a. Einblicke in ihren Kampf mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und dem Impostor-Syndrom, unter dem meist leistungsstarke Personen leiden, die ihre objektiven Erfolge nicht ihren eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zuordnen.

Vor dem Semifinale bin ich dann vor dem Spiegel gestanden und habe mir selbst mit Nachdruck eingeredet, eine gute Spielerin zu sein."

Sie sprach auch über die Klimaaktivisten, die in ihrem Match gegen Muchova eine 50-minütige Unterbrechung verursacht hatte. „Ich war immer der Überzeugung, dass man für Dinge einstehen soll, die man fühlt und an die man glaubt und habe daher in dem Moment versucht, nicht wegen der Zwangspause angefressen zu sein", erzählte sie vom Umgang mit jener Situation. „Es war ein friedlicher Protest. Wie kann ich mich darüber ärgern?"

ZitatZudem erwähnte sie, dass sie es nicht bereut, in der Vergangenheit nicht immer ihr ganzes Potenzial abgerufen zu haben und sie nicht mehr an frühere Niederlagen denken wolle. „Ich würde es gar nicht als verpasste Chancen bezeichnen, weil man im Tennis ständig dazulernt", sagte sie. „Vielleicht muss ich diese Fehler ja machen, um mich weiterentwickeln zu können."

Erstaunliche Reife für einen Teenager

Bei all den reflektierten Statements vergisst man gerne, dass Gauff erst 19 Jahre alt ist - vielleicht, weil sie schon ihre sechste Profisaison spielt. Zwischen den ernsten Themen fand sie aber auch Zeit, ihren Landmann Frances Tiafoe aufzuziehen und sich über dessen ärmelloses Shirt lustig zu machen. „Du trägst Confetti", lachte die sechsfache Titelgewinnerin auf der WTA-Tour über ihren Landsmann. „Carlos (Alcaraz, Anm.) steht es besser."

Coco Gauff wird vermutlich nicht gleich alles im Welttennis in Grund und Boden reißen, doch stellt die Modellathletin mehr dar als nur eine großartige Sportlerin dar. Sie ist auch ein Mensch, auf den man sich jederzeit beziehen und von dem man lernen kann. Und: Seit Samstag ist sie ein US-Open-Champion.

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Autor: Tobi
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