Wie kommt Frankreich aus der Krise?

tobi-redaktionTobi
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Reihenweise verlassen die großen französischen Musketiere die internationale Tennisbühne, vor den Olympischen Sommerspielen in Paris sucht der nationale Verband krampfhaft, einen Aufschwung herbeizuleiten. In Roland-Garros ließ Chefentertainer Gael Monfils aber zumindest für einen Abend sämtliche Zukunftsfragen vergessen.

Bester Franzose auf Rang 40

Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass Frankreich in Lille zum insgesamt zehnten Mal den Davis-Cup-Titel gewinnen konnte, zwölf Monate später standen die Musketiere abermals im Finale. In der Folge nahmen u.a. Julien Benneteau, Jo-Wilfried Tsonga und Gilles Simon im Pariser Stade Roland-Garros ihre abschließende Ehrenrunde, der 37-jährige Richard Gasquet dürfte es seinen Kollegen bald nachmachen - ein durchaus natürlicher Prozess.

FrankreichDennoch überrascht, dass es einem Land mit einem Grand-Slam-Turnier, einem wirtschaftlich starken Verband, einer der weltweit fachkundigsten Fanbasen und einem enormen Coaching-Know-how nicht gelingt, ihre scheidenden Helden adäquat zu ersetzen. Der in der Weltrangliste bestgereihte Spieler ist aktuell Ugo Humbert auf Platz 40, dahinter folgt der bereits 34 Lenze zählende Adrian Mannarino, Gasquet steht auf Nummer drei im Nationenranking. Im gleich Maße wie Italien und Kanada die Spitze hochklettern, scheint Frankreich ins Bodenlose zu fallen.

Später Weckruf vor Olympia

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Nach 21 Jahren wechselte Tennisprofessor Louis Borfiga 2006 vom französischen Verband FFT nach Kanada, um das Nachwuchsprogramm der Ahornblätter zu pushen. Mit jenem Mann, der als Wegbereiter für den Aufstieg der Musketiere gilt, verabschiedete sich auch der Erfolg. 2021 kehrte der Monegasse an seine frühere Wirkungsstätte zurück. Im Vorjahr stieß Ivan Ljubicic, einst Coach von Roger Federer, zur FFT-Equipe hinzu, um das französische Tennis für die Olympischen Spiele in Paris 2024 fit zu bekommen.

Sowohl Borfiga als auch Ljubicic betonten in Interviews mit der renommierten französischen Tennisjournalistin Carole Bouchard die Bedeutung, den Nachwuchstalenten des Landes eine Siegermentalität zu einzuimpfen. Schließlich sei der Erfolgslauf des letzten Jahrzehnts gerissen und mit jedem Rücktritt würde für die Jungen ein weiteres Vorbild abhandenkommen.

Hoffnungsvolle Teenager

Es liegt auf der Hand, dass die Franzosen mehr an sich selbst glauben müssen", erklärte Borfiga. „Wir sollten dieses negative Gerede von der mentalen Schwäche der Franzosen beenden und den Begriff gänzlich aus unserem Vokabular streichen." Ljubicic stimmt dem 68-Jährigen zu:

Sobald der Knoten platzt und ein Spieler den Durchbruch schafft, wird es leichter. Genau das ist in Italien und Kanada passiert. Danach wird eine Lawine losgetreten."

Vielleicht ist der Knoten sogar schon geplatzt, womöglich sogar zwei. Im Frühjahr schnappte sich der 19-jährige Luca Van Assche in Banja Luka gegen Novak Djokovic den ersten Satz, wenig später feierte der erst 18-jährige Arthur Fils in Lyon seinen ersten ATP-Titel. Der kleinwüchsige Van Assche gilt als technisch feinfühliger Ballstreichler, der robuste Fils als krafvoll agierender Modellathlet.

Beide Teenager rissen bei ihren jeweiligen French-Open-Debüts am Montag die Zuschauer mit und machten dabei ausgezeichnete Figur. Während Van Assche dem italienischen Routinier Marco Cecchinato nicht die geringste Chance ließ, holte Fils gegen den als Nummer 29 gesetzten Alejandro Davidovich Forkina immerhin einen Satz. Am Mittwoch ging auch Van Assche Pariser Premiere gegen Forkina zu Ende.

Fesselnde Night Session

Die Zukunft Frankreichs wurde aber bald von der Vergangenheit überstrahlt, als der wohl unterhaltsamste aller Musketiere am Dienstag Abend den Court Philippe-Chatrier zur Night Session betrat. In einem 4:15 Stunden dauernden Thriller nahm Gael Monfils, der bis dahin noch kein Tourmatch in dieser Saison gewonnen hatte, auf seine unvergleichliche Art die enthusiastischen Zuschauer auf eine elektrisierende Achterbahnfahrt mit.

Weit nach Mitternacht schüttelte der 36-Jährige bei 0:4 im entscheidenden Durchgang Krämpfe ab, stachelte die Menge auf, tanzte und ratterte sich von Punkt zu Punkt und beutelte letztlich einen die Netzkante touchierenden Passierschlag aus dem Handgelenk, der auf wundersame Weise zum Winner im Feld landete.

gael-monfils-roland-garros-1024x684Das Match gewann Gael Monfils, in Runde zwei musste er dann aber verletzungsbedingt abtreten.MehrWeniger

Zu viel Herz für einen Grand Slam?

Kein Spieler verkörpert Frust und Freude des französischen Tennis so sehr wie Monfils. Der wohl größte Entertainer am internationalen Circuit verfügte zweifelsohne über die Physis und Finesse, um Major-Trophäen zu erobern. Doch fehlte es ihm am hartnäckigen Willen und dem kompromisslosen Ehrgeiz, der die Big 3 auszeichnete. Der Franzose hat den Tenniscourt stets als Spielwiese und nie als Schlachtfeld betrachtet.

Am Dienstag erinnerte der elfmalige Titelgewinner auf der ATP-Tour, der unmittelbar vor dem Start der French Open die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Starcoach Günter Bresnik beendet hatte, die französischen Fans daran, was sie an diesem Sport so lieben. Fragen zu seiner Zukunft waren in dieser Nacht völlig irrelevant.

Magisches Pariser Flair

Diese Atmosphäre ist einzigartig, vermutlich auch für einige Zuschauer", sagte Monfils, der später seinen für Donnerstag angesetzten Zweitrunden-Clash mit Young Gun Holger Rune wegen eines überstrapazierten Handgelenks abblasen musste, nach dem Match. „Einige meiner Freunde sind zum ersten Mal in Roland-Garros. Ich glaube, es war eine sehr schöne Erfahrung für sie."

Es bleibt zu hoffen, dass das eine oder andere französische Talent auf den Rängen saß, um zu bezeugen, was ein französischer Profi alles leisten kann und was eine derartig beherzte Vorstellung für die Grande Nation bedeutet. Ohne dieses magische Flair wäre der Tennissport definitiv ärmer.

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Autor: Tobi
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