Holger Rune: Plötzlich im Rampenlicht

tobi-redaktionTobi
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Die letzten Turniere des Tennisjahres 2022 gipfelten für Holger Rune in einer fabelhaften Masters-Woche in Paris-Bercy, die mit dem phänomenalen Finaltriumph über Novak Djokovic endete. Erlebt der junge Däne soeben die Wandlung von einem ungestümen Rohdiamanten zu einem zukünftigen Superstar?

Kometenhafter Aufstieg

Die Saison 2022 startete Holger Rune auf Platz 103 der Weltrangliste. Im Mai feierte das Supertalent bei den BMW Open in München bereits seinen ersten ATP-Titel. Ein paar Wochen später eliminierte er in Roland Garros Vorjahresfinalist Stefanos Tsitsipas und kämpfte sich bis ins Viertelfinale des Grand-Slam-Turnieres vor. Doch erst gegen Ende des Tennisjahres explodiert der junge Däne regelrecht. Der zweite ATP-Triumph stellte sich im Oktober in Stockholm ein, zudem verbuchte er Finalteilnahmen in Sofia und Basel.

infoDer ganz große Durchbruch sollte Rune aber letzte Woche in Paris-Bercy gelingen. Als Nummer 18 der Welt in die französische Hauptstadt gekommen, reiste er als Top-Ten-Spieler wieder ab. Auf dem Weg zu seinem premieren Masters-Erfolg eliminierte der Teenager mit Hubert Hurkacz, Andrey Rublev, Carlos Alcaraz, Felix Auger-Aliassime und Novak Djokovic gleich fünf der besten zehn Profis im Ranking, ein neuer Rekord bei ATP1000-Turnieren.

Gegen Alcaraz war Rune der klar überlegene Mann, ehe der Spanier im zweiten Durchgang zur Aufgabe gezwungen wurde. Im Halbfinale beendete er den Lauf von Auger-Aliassime, der zuvor drei Turniere in Serie gewonnen hatte. Und im Finale triumphierte der 19-Jährige gegen den sechsmaligen Bercy-Champion Djokovic nach Satzrückstand.

Djokovic-Tokyo-2020-Niederlage-1024x683Selbst Djokovic musste sich gegen Rune geschlagen geben.MehrWeniger

Zoff mit Wawrinka

Mein Herz war fast in meinem Hirn drinnen", versuchte Rune die Gefühle beim Ausservieren in seinem vierten aufeinanderfolgenden Endspiel zu beschreiben. Auf eine imposantere Art hatte bis dahin tatsächlich wohl niemand in diesem Jahr seinen Aufschlag gehalten. Bei 6:5 im entscheidenden Satz wehrte der Jungstar gegen den zweifellos besten Returnspieler aller Zeiten sechs Breakbälle ab, drei davon mit Winnern.

Dabei hatte der Heißsporn aus einem Vorort von Kopenhagen schon in Runde eins gegen Stan Wawrinka drei Matchbälle abwehren müssen. Beim Handshake schulmeisterte ihn der dreifache Grand-Slam-Sieger noch, er solle sich auf dem Court gefälligst nicht wie ein Baby aufführen. Zumindest spielerisch nahm sich das Danish Dynamite den Rat zu Herzen.

Turin statt Mailand

Ins Masters war er noch als ungesetztes, überemotionales Talent gegangen, das lernen musste, die Punkte geduldig aufzubauen und die vorhandenen Waffen effektiv einzusetzen. Er beendete das Turnier letztlich als strahlende Zukunftshoffnung, die sich in den kommenden Jahren mit dem nur sechs Tage jüngeren Carlos Alcaraz um die ganz großen Pokale im Welttennis matchen wird. Durch Absage des verletzten US-Open-Siegers für die ATP Finals rückt Rune übrigens noch als Ersatzmann ins Aufgebot von Turin nach, dafür muss er auf ein Antreten bei den Next Gen Finals in Mailand verzichten.

holger-runeHolger Rune - hier im Frühjahr bei den French Open.MehrWeniger

Den Titel bei diesem Starterfeld zu gewinnen, lag vor einer Woche noch außerhalb meiner Vorstellungskraft, vor allem, nachdem ich das Turnier mit drei Matchbällen gegen mich begonnen hatte", so ein sichtlich bewegter Rune bei der Siegerehrung.

Der Schlüssel gegen Djokovic war, mutig zu spielen und gleichzeitig stabil zu bleiben. Ich musste mich immer wieder selbst beruhigen, an mein Service glauben, aber auch meine besten Schläge auspacken. Man kann gegen so einen Mann nicht gewinnen, wenn man den Ball nur zurückspielt."

Mouratoglou im Coaching-Staff

Seit einigen Wochen zählt Patrick Mouratoglou zum Betreuerstab des Rechtshänders. „Was mir bei Holger sofort aufgefallen ist, war die Einstellung eines Champions", erinnert sich der französische Starcoach an seinen heutigen Schützling in den Nachwuchskategorien. Das Potenzial sei jedenfalls bei weitem nicht ausgeschöpft.

Ich glaube nicht, dass wir in Paris sein bestes Tennis gesehen haben. Das Topniveau ist besser geworden, wir müssen aber sein durchschnittliches Level heben." – Patrick Mouratoglou

Freilich hatte Rune in wichtigen Phasen des Bercy-Finales auch mit den Nerven zu kämpfen. „Nachdem ich im dritten Satz ein Break zurücklag, wollte ich Novak aber nichts mehr geben und ihn jeden Ball spielen lassen." Eine Plan, der nach 2:33 Stunden aufging.

Die Highlights aus dem dramatischen Finalspiel von Holger Rune und Novak Djokovic in Paris-Bercy.


Alle Anlagen vorhanden

Hatte der Skandinavier in jüngerer Vergangenheit für sein Verhalten auf dem Platz schon einige Kritik einstecken müssen, so umarmte ihn Djokovic nach dem verlorenen Match und gestand seinem um 16 Jahre jüngeren Bezwinger, dass er dessen Einstellung möge.

Er hat ein irrsinnig komplettes Spiel für sein Alter", analysierte der Serbe nach dem Finale. „Mit welcher Energie er auftritt, wie er sich pusht und mental präsent bleiben will, ist schlicht beeindruckend."

Ob das letzte Masters-Turnier des Jahres einen Ausreißer darstellte oder Rune dieses Level Woche für Woche, im Freien und in der Halle wiederholen kann, wie Mouratoglou glaubt, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass er über alle Anlagen dafür verfügt, verteidigen und angreifen, den Aufschlag durchbringen und seinen Kontrahenten mit dem Return unter Druck setzen kann.

Doch die vielleicht wichtigste Eigenschaft, ist sein unbändiges Verlangen zu gewinnen, unabhängig vom Gegenüber. Wenn er das Herz im Hirn behält, werden garantiert zahllose Wochen wie jene in Paris folgen.

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Autor: Tobi
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