Williams-Schwestern: Ohne Venus, keine Serena

tobi-redaktionTobi
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Die ruhmreiche Geschichte der vielleicht größten Tennisspielerin aller Zeiten wäre unvollständig, wenn man nicht alles in Betracht ziehen würde, was die große Schwester an ihrer Seite geleistet hat. Venus und Serena Williams mögen grundverschiedene Persönlichkeiten entwickelt haben, halten aber stets an ihrer enormen emotionalen Bindung fest.

Enorme emotionale Bindung

Mit zehn, elf Jahren waren Venus und Serena unzertrennlich", erinnert sich Rick Macci, erster längerfristiger Coach der Tennis spielenden Schwestern aus dem Hause Williams. „Sie haben Händchen gehalten, Snacks geteilt und zusammen getobt. In vielerlei Hinsicht ist es noch heute so."

Mag sein. Doch mittlerweile hat sich die sagenumwobene Handlung um die Familie Williams in das Innenleben verlagert. Ihre emotionale Bindung ist derart tiefgründig, dass viele Beobachter Serenas Beharren, mit Venus bei den letztjährigen US Open wieder im Doppel anzutreten, als Fehler betrachten.

In ihrem Drittrundenspiel gegen Alja Tomljanovic war Serena im Entscheidungssatz komplett der Sprit ausgegangen. Selbst wenn die Schlussfolgerung der Experten korrekt gewesen sein soll, zeigt es auch die bedingungslose Schwesternliebe, die von den ihnen ungebrochen zelebriert wird.

Unterschiedliche Charaktere

In der öffentlichen Wahrnehmung verkörpern beiden Filzballikonen allerdings völlig verschiedene Persönlichkeiten. Sie gehen vielfältigen, aber höchst unterschiedlichen Nebenbeschäftigungen und Interessen nach. Venus führt seit mehreren Jahren ein Design-Unternehmen, Serena fühlt in das harte Business der Risikokapitalanlage hinein.


Venus Williams modelt für ihre eigene Modelinie EleVen.


Zudem treten sie auch sehr unterschiedlich auf. Serena sucht förmlich die Aufmerksamkeit, Venus hält die Scheinwerfer lieber von sich fern. Zwar haben beide ein Faible für Mode, ihr Stil und Geschmack könnten aber kaum voneinander abweichender sein. Und was man trägt, stellt letztlich das sichtbarste Signal dar, wer du bist - oder glaubst zu sein.

Bei ihrem Abschiedsturnier in Flushing Meadows trug Serena mit glitzernden Diamanten überzogene Nike-Schuhe und auffällige, transparent-schwarze Kleidung mit langen Ärmeln und eine fast dramatisch wirkenden Rock. Am folgenden Abend betrat Venus dasselbe Arthur Ashe Stadium in einem schlichten grünen Zweiteiler ihrer eigenen Modelinie EleVen - als ob sie soeben ein nettes Damendoppel im Country Club gespielt hätte.

Die Williams-Schwestern bei den US Open 2022.


Früh gefundene Geschwisterrollen

Zu viel Nähe kann katastrophal enden", weiß Macci, der in seiner Trainerlaufbahn zahllose junge Geschwister mit allzu großen Träumen unter seinen Fittichen hatte. „Man muss Richard dafür danken, dass bei ihnen alles gut ausgegangen ist." Doch das Lob gebührt auch den Töchtern selbst, ist der einst absolute Einfluss von „König Richard" doch schon lange Geschichte.

Die Emanzipation erfolgte bereits, als die beiden zu internationalen Superstars avancierten. Serena stürzte sich in die Celebrity-Szene, die stets reserviertere, 15 Monate ältere Venus zog sich in die Rolle der schützenden großen Schwester zurück.

Venus zieht sich mehr und mehr zurück

Für Venus als Wettkämpferin war dieser Übergang nicht einfach, als Serena bei den US Open 1999 als Erste der beiden einen Grand Slam gewinnen konnte", erinnert sich Zina Garrison, in Wimbledon 1990 erste farbige Major-Finalistin seit Althea Gibson 1959, und seit den Jahren in Compton eine ständige Präsenz im Leben der Williams-Schwestern. „Aber sie hat einen super Job gemacht."

Nach und nach habe sich Venus jedoch von der Außenwelt abgekapselt.

Wenn ich sie jetzt sehe, sagt sie meistens nur kurz, oh, hallo. Manchmal wirkt sie glücklich, dann wieder bedrückt. Ich denke, sie hat ihre Rolle als große Schwester einfach neu definiert und konzentriert sich nun mehr auf ihr eigenes Ding."
– Zina Garrison über Venus Williams

Bemerkenswerte Laufbahn

Die Tenniskarriere von Venus Williams spricht für sich selbst. In einer Welt, in der nicht alle Spielerinnen 23 Grand-Slam-Einzeltitel gewinnen können, kam die ältere Schwester immerhin auf sieben und liegt damit weit vor anderen Legenden wie Maria Sharapova, Martina Hingis, Kim Clijsters, Lindsay Davenport oder Jennifer Capriati. An Serenas Seite kann Venus auf eine perfekte 14:0-Bilanz in Doppelfinals bei Major-Turnieren verweisen, zudem holte sie fünf olympische Medaillen, vier davon in Gold.

ZitatWären sie immer gemeinsam im Doppel angetreten, hätten sie leicht 60 Majors gewinnen können", ist Rick Macci überzeugt. „Und da ist noch nicht einmal das Mixed eingerechnet. Allerdings müssen sie zwischendurch auch essen und schlafen, nicht wahr?"

Weiters stand Venus in der sportlich vielleicht fruchtbarsten Zeit in der WTA-Geschichte elf Wochen lang an der Spitze der Weltrangliste und war in der gesamten „Serena-Ära" wohl die zweitbeste Tennisspielerin auf der Tour. Einzig Justine Henin, die ebenfalls sieben Grand-Slam-Teller gen Himmel hob, kann mit dieser Statistik mithalten. Während all dieser Erfolge blieb Venus aber immer ihrer Verpflichtung treu, Serena zu schützen und ihr zur Seite zu stehen.

New Yorker Damenfinale erstmals zur Primetime

Dieser Nebenjob nahm freilich wesentlich kompliziertere Ausmaße, als die Schwestern mit einem Schlag plötzlich auch zu Rivalinnen auf höchstem Level wurden. Ihr erstes Grand-Slam-Finale gegeneinander bestritten sie bei den US Open 2001, zwei Jahre nachdem Serena mit dem Titelgewinn in New York der Durchbruch gelungen war.

Ein Stück Tennisgeschichte: 2001 spielen die Williams-Schwestern erstmals ein Grand Slam-Finale gegeneinander.


Der amerikanische Tennisverband und der Host-Broadcaster CBS erkannten die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses und setzten erstmals ein Damen-Endspiel in Flushing Meadows zur Primetime an.

Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal entsprach das medial so gehypte Match nicht den hochgesteckten Erwartungen. Venus, am Höhepunkt ihres Schaffens, zog die kleine Schwester humorlos mit 6:2, 6:4 ab und gewann so das vierte der letzen sechs Majors.

Sister-Acts sportlich ernüchternd

Später verriet Serena, dass ihr Venus beim Handshake am Netz zugeflüstert hatte, nicht das Gefühl des Sieges zu verspüren. „Sie hat gesagt, dass sie mich immer irgendwie schützen wollte", so Serena. „Naja, du hast gewonnen, habe ich geantwortet. Nimm es. Es ist dein Sieg, es ist dein Triumph."

Die Schuldgefühle waren ohnehin unangebracht, denn die unbekümmerte Serena sollte bald zu einem psychischen Alptraum für die Schwestern mutieren. „Es wurde nach dem ersten Match definitiv einfacher", sagte Venus danach. „Jetzt habe ich keine Probleme mehr, gegen sie zu spielen."

Auf dem Court spiegelte sich diese Einstellung kaum. Ein Großteil der 31 Sister-Acts kann man getrost als sportliche Flops bezeichnen, nur zwei der ersten zehn Partien gingen über drei Sätze.

ZitatWeil weder Venus noch Serena der anderen an die Gurgel gehen konnten, entwickelte sich keines dieser Matches zu Thrillern", lautet Rick Maccis simple, aber doch auch irgendwie überzeugende Einschätzung. „Gegen Hingis oder Sharapova konnten sie einfach ihren Killerinstinkt hervorkehren."

Venus von Serena schnell übertrumpft

Zu Beginn ihrer Laufbahnen gehörten die Schlagzeilen Venus, Serena wendete aber bald das Blatt. Der Ruf und die Erfolge der Jüngeren, in Verbindung mit der introvertierten Persönlichkeitsstruktur der Älteren, ihre Stellenwert in Serenas Leben und ihre Aversion gegen das Rampenlicht, legten nahe, dass sich Venus mit der Rolle der zweiten Schwester abfand.

Es dürfte allerdings auch andere, konkrete Gründe geben, warum Venus „nur" sieben Majors gewann. Obwohl 1,85 Meter groß und mit langen Hebeln ausgestattet, mit denen sie das Netz hervorragend abdecken konnte, kam sie von ihrem Angriffsstil immer mehr ab.

Beste Head-to-Head-Bilanz gegen Serena

Eine Anpassung der Spielanlage, die auch Macci nicht entging.

In ihrem ersten Profi-Match gegen Arantxa Sanchez-Vicario kam Venus 33-mal nach vorne, gegen Jana Novotna in Wimbledon 35-mal. Regelmäßig servierte sie den zweiten Aufschlag durch die Mitte und stürmte ans Netz. Mit den ständigen Vorstößen brachte sie jede Gegnerin aus dem Gleichgewicht."
– Rick Macci

Ihr Nachwuchscoach vermutet, dass sich Venus beim Einstieg in die WTA-Tour weniger auf ihr explosives Angriffsspiel verließ als auf lange Grundlinien-Rallyes wie Davenport und Capriati. Mit der Zeit ging auch die Konstanz abhanden, das zweite Service wurde verwundbar, die Grundschläge wirkten teilweise unrund. Mit ihrer Beziehung zu Serena hatte all dies nichts zu tun.

Serena hat ihren Fuß aufs Gaspedal gedrückt und nie zurückgeschaut", so Macci. „Es war garantiert nicht so, dass Venus irgendetwas akzeptiert hätte. Die Dinge haben sich in dieser Schwesterndynamik lediglich in diese Richtung entwickelt." Trotzdem hat keine Spielerin Serena öfter geschlagen als Venus, die zwölf Duelle gewann und 19 verlor.

Hätte es keine Serena gegeben, würden wir womöglich über Venus und ihre 30 Grand-Slam-Titel sprechen."

Mistrauen gegenüber Medien

Nachdem die 14-jährige Venus 1994 in Oakland Sanchez-Vicario unterlegen war, scheute sie, vor die Presse zu treten. Die WTA bat Zina Garrison um Hilfe. „Richard hatte ihr gesagt, sie solle mit niemandem außer ihm, mir oder meiner Doppelpartnerin Lori McNeil reden", erinnert sich Garrison. „Also musste ich Richard finden und ihm erklären, dass diese Medientermine verpflichtend sind."

Serena fühlte sich andererseits stets zu sehr zu jeglicher Form von Aufmerksamkeit hingezogen, als dass sie sich zurückhalten oder sich dem durchaus verständlichen Misstrauen des Vaters gegenüber praktisch jedem unterwerfen würde.


Auf Instagram gibt Serena Williams gerne Einblicke in ihr, zum Teil glamouröses Familien- und Privatleben.


Auf Venus scheint Richards Einstellung aber abgefärbt zu haben, sie ging immer übervorsichtig mit den Medien um. Unabhängig wie legitim eine Reporterfrage auch ist, antwortet sie tendenziell kurz, unpräzise und teilweise mystisch mit versteinerter Mine.

Ausweichende Antworten

Als sich Serena für die Finalniederlage bei den US Open 2001 im Folgejahr revanchierte, fiel die Reaktion von Venus kryptisch aus. Auf die Frage, ob sie Tennis liebe wie eh und je, sagte sie: „Ich musste alles ausblenden. Die Leute tragen dich ja zu Tode. Sie reden viel. Ich möchte nur weg von diesem Hype."

An ihrem Zugang zur Presse hat sich im Laufe der Jahr nicht viel geändert. Nach der Auftaktniederlage beim letzten New Yorker Grand Slam im vergangenen Spätsommer stellte ein Journalist die harmlose Frage, ob sie sich vom Tennis „wegentwickeln" würde - ein von Serena genütztes Codewort für Rücktritt. „Jetzt bin ich erst einmal nur aufs Doppel fokussiert", schoss sie zurück.

Letztlich ging Venus doch ein wenig aus sich heraus und meinte, bezogen auf ihre Geschichte beim US-Major: „Ich liebe es einfach, hier zu sein, hier zu spielen und liebe auch das ganze Drumherum. Es wird nie langweilig."

Einsatz für Gleichstellung der Frauen

Das klang dann schon eher nach jener Venus Williams, die in der Öffentlichkeit größten Respekt genießt. Und die Zuneigung hat sich die 42-Jährige mit ihrer vor allem gegenüber Serena gezeigten Haltung redlich verdient. Dank ihres unermüdlichen Drängens auf gleiches Preisgeld für Damen und Herren in Wimbledon und Roland Garros hatte sie schon 2005 ihre Fangemeinde erheblich erweitert.

Vor allem ihr Gastkommentar in der Londoner Times, der vom damaligen britischen Premierminister Tony Blair Unterstützung erfuhr, vor den All England Championships trug erheblich zu ihrer Image-Politur bei. Im Februar 2006 knickten die Verantwortlichen in Wimbledon ein, keine 24 Stunden später auch die French Open.

venus-williams-gastkommentar-the-timesScreenshot von Venus Williams' Gastkommentar.MehrWeniger

Irgendwo auf der Welt träumt ein kleines Mädchen davon, eine riesige Trophäe in seinen Händen zu halten und genauso betrachtet zu werden wie Buben, die ähnliche Träume haben", war Venus unmittelbar vor der Verkündung der beiden Grand-Slam-Veranstalter, den Verteilungsschlüssel der Turnierdotationen anzupassen, in der Chicago Sun-Times zitiert worden.

Ungebrochener Wettkampfhunger

Ihre Tenniskarriere will Venus fortsetzen, auch wenn das Ende näher rücken mag. Das Wettkampfgen scheint jedenfalls ungemindert ausgeprägt zu sein. Drei Buchstaben würden sie motivieren, weiter zu spielen, sagt sie: „W - I - N. Das ist es. Sehr einfach."

Die Siege werden aber rarer, in diesem Jahr hat der US-Evergreen erst zwei Matches bestritten. In der zweiten Saisonhälfte 2022 waren es fünf Partien und ebenso viele Niederlagen. „Wann auch immer sich Venus entscheidet, nicht mehr Tennis zu spielen, wird sie auf ihre Art aufhören", ist sich Eric Hechtman sicher, der in der Vergangenheit beide Schwestern trainiert hat.

Die Leute mögen vielleicht sagen, dass sie sich längst irgendwo verzettelt hat. Aber sie wird es genauso beenden, wie sie es selbst will."
– Eric Hechtman über Venus Williams

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Große Worte der kleinen Schwester

Wie Serena, die sich bei den US Open in Lobhudeleien des New Yorker Publikums wärmte, wird es Venus wohl nicht angehen. Inzwischen befeuert die 41-Jährige sogar selbst in regelmäßigen Abständen Gerüchte um ein mögliches Comeback. Bei ihrem offiziellen Abschied wusste die Queen of Queens genau, wem sie zu danken hatte:

Ich wäre nicht Serena ohne Venus. Sie ist der einzige Grund, warum es Serena je gab."

Naja, vielleicht nicht der einzige Grund. Doch die monumentalen Errungenschaften der vielleicht größten Spielerin aller Zeiten basieren definitiv ein Stück weit auf dem Fundament, das von ihrer großen Schwester gelegt wurde. Schließlich meisterte Venus die Herausforderungen für eine Familie mit zwei Allzeit-Ikonen eines Weltsports, der eigentlich nur für eine bestimmt ist.

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