Coaching: Von Männern dominierte Damentour

tobi-redaktionTobi
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Fast sämtliche Tennisspielerinnen beschäftigen Männer in den Spitzenpositionen ihrer Betreuerstäbe, die Gründe dafür sind vielschichtig. Um im sich stetig schneller drehenden Trainerkarussell mehr Sitze für Frauen bereitzustellen, startet die WTA eine Initiative, die weibliche Coaches in den Circuit locken soll. Doch werden die Proettes mitspielen?

Kein Respekt vor weiblicher Autorität

Nach ihrer Karriere leitete Zina Garrison ein Tenniscamp für aufstrebende Nachwuchstalente im US-Bundesstaat Maryland. Als die Wimbledon-Finalistin von 1990 von einer Mutter gefragt wurde, ob sie spezifisch mit ihrem Sohn arbeiten könnte, zeigte sich die einstige Nummer vier der Welt dankbar, stolz und erfreut. Es sollte sich letztlich als ein sehr, sehr langer Tag erweisen - für Lehrerin und Schüler gleichermaßen.


Er hatte gar keinen Respekt vor mir", erinnert sich Garrison. „Er konnte einfach nicht akzeptieren, von einer Frau trainiert zu werden."

Die Episode ist lange her, ein derartiges Verhalten war Anfang der 2000er-Jahre auch nicht unüblich. Doch im Wesentlichen haben sich die Dinge kaum geändert. Die Trainerposten auf höherem Niveau werden sowohl im privaten als auch im Verbandssektor fast ausschließlich von Männern eingenommen.

Gefährliche Verstrickungen

In anderen Bereichen des Tennissports, die einst als Männerdomäne galten, ist der Frauenanteil deutlich gestiegen, diese Sparte bildet allerdings eine Ausnahme. Doch gerade das Trainergeschäft birgt eine nur selten zur Anzeige gebrachte Gefahr, bei der emotionale und physische Verstrickungen, ja sogar der Missbrauch durch vorwiegend, aber keineswegs exklusiv männliche Coaches allgegenwärtig sind.

Tennis Wetten IconWeil die Frauenquote unter den Tennislehrern mit steigendem sportlichen Level sinkt, ruft die WTA jetzt ein Inklusionsprogramm für weibliche Coaches ins Leben. Die Initiative soll Trainerinnen nicht nur rekrutieren, sondern auch entwicklen und langfristig halten.

Es gab in diesem Gebiet ein wenig Fortschritt, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß, den wir erwartet hatten", gesteht Pam Shriver, 22-fache Grand-Slam-Siegerin im Doppel. „Frauen, die selbst auf hohem Niveau auf der WTA-Tour gespielt haben, können sehr viel dazu beitragen, die Kultur am Circuit zu verstehen und mit dem Druck, der auf junge Mädchen lastet, umzugehen."

Mauresmo setzte Meilenstein

Von den etwa 125 zertifizierten WTA-Coaches sind nur ein knappes Duzend Frauen, darunter die ehemaligen Wimbledon-Champions Conchita Martinez und Marion Bartoli. Auf der Liste finden sich aber auch weniger geläufige Namen wie die Belgiern Ann Devries, die ihre Landsfrauen Yanina Wickmayer und Alison van Uytvanck betreut. Engagements innerhalb der Familie wie einst Melanie Molitor und Tochter Martina Hingis oder Gloria Connors und Sohn Jimmy sind hier nicht erfasst.

Die zweifellos bekannteste weibliche Betreuerin verdiente sich ihre Sporen paradoxerweise mit dem Coachen eines Mannes: Amelie Mauresmo arbeitete ab 2014 zwei Jahre lang mit Andy Murray zusammen. Obwohl der Schotte unter der Ägide der zweimaligen Grand-Slam-Siegerin und ehemaligen Nummer eins der Welt selbst keinen Major-Titel gewann, stand er in dieser Zeitspanne dreimal im Finale eines der vier größten Turniere des Jahres und kletterte im ATP-Ranking auf Position zwei.

andy-murray-21-09-2021-metzGroße Ausnahme: Andy Murray vertraute auf das Können einer Frau.MehrWeniger

Kein Vertrauen der Eltern

Einzig Anabel Medina Garrigues gelang es in der offenen Ära, eine Spielerin zu einem Major-Triumph zu führen: Jelena Ostapenko jubelte 2017 unerwartet über den Einzeltitel bei den French Open. Damals wurde kurioserweise Garbine Muguruza von Conchita Martinez auf Teilzeitbasis beraten, die Spanierin gewann in jenem Jahr in Wimbledon.

jelena-ostapenko-08-02-2022-st-petersburg-1024x683Ostapenko holte 2017 mit Unterstützung einer Frau den Titel bei den French Open.MehrWeniger

Die Initiative der WTA ist aus mehreren Gründen ambitioniert, vor allem wegen des Ausmaßes an männlicher Verwurzelungen mit der Branche. „Bis die Spielerinnen vom Nachwuchsbereich über den Tour-Einstieg bis zum etablierten Profitum auf die Idee einsteigen, steht ein langer, harter Weg bevor", zeigt sich Garrison skeptisch.


Es fehlt ja nicht an weiblichen Coaches, sondern am Vertrauen der Eltern. Sobald ein talentiertes Kind ein gewisses Niveau erreicht, wird es sofort unter die Obhut eines Mannes gebracht, aber niemals einer Frau."

Dass bisher nur wenige Topspielerinnen weiblichen Coaches eine Chance geben, hilft dem Anliegen ebenfalls nicht.

Kein Multitasking mehr

Das ausschließliche Vertrauen auf männliche Betreuer dürfte auch ein Relikt jener Tage sein, in denen ein Coach mehrere Rollen einnehmen musste, wie jene des Hitting-Partners, der mit Tempo und Kraft im Training seinen Schützlingen im Wettkampf Vorteile zu verschaffen glaubte.

Man kritisiert, dass ältere, zurückgetretene Spielerinnen wie ich die Mädchen nur mit Bällen füttern können", so Shriver. „Eigene Hitting-Partner sind heutzutage aber die Regel und nicht die Ausnahme. Selbst die Trainer der männlichen Stars schlagen nicht mit ihren Spielern Bälle."

Die größte Herausforderung für die WTA besteht womöglich in der Rekrutierung hochqualifizierter Ex-Profis.


Vielleicht sollte man die Spitzenspielerinnen der letzten 20 Jahren fragen, warum sie keine Karriere am Trainingsplatz eingeschlagen haben", schlägt Kelly Wolf, Vizepräsidentin von Vermarktungsriese Octagon, eine Spurensuche an der Quelle vor.

Warum kann das Coaching im Damentennis nicht mit dem Wachstum und der Diversität in anderen Teilbereichen der WTA Schritt halten?"

Vollzeit-Coach nur für Topstars leistbar

Viele Spielerinnen haben nach dem Karriereende auch vom reiseintensiven Lebensstil genug, was allerdings auch auf einige männlichen Kollegen zutrifft. Doch sehen Frauen tendenziell eher als Männer im Sport nur einen Lebensabschnitt und schlagen danach ein völlig neues Kapitel auf, etwa die Gründung einer Familie. Und aufgrund der Jobprofile und Anforderungen der jeweiligen Sparten, ist es für eine Mutter wohl schwerer, den Beruf des Coaches als jenen der Spielerin auszuüben.

Zudem sitzt man selbst als renommierter Coach auf der WTA-Tour ständig auf einem Schleudersitz, was oft in der zwischenmenschlichen Chemie begründet ist. Junge Frauen geben sich heute selbstbewusster, ihre eigenen Ideen und Meinungen um- bzw. durchzusetzen, der Trend zu häufigen Trainerwechsel verstärkt sich. Immerhin bezahlen die Damen ja auch die meist üppigen Honorare ihrer Coaches.

Der Markt auf der Damentour ist jedenfalls mit erfahrenen, männlichen Betreuern für verhältnismäßig wenige Spielerinnen überhäuft, die sich den Luxus eines Vollzeitbeschäftigten leisten können. Das Trainerkarussell dreht sich stetig schneller, was logischerweise nicht gut für die Coaches ist, aber auch für die Akteurinnen von Nachteil sein kann.

Kaum Beständigkeit in Betreuerteams

Zunehmend trennen sich Spielerinnen selbst dann von ihren Trainern, wenn sie großen Erfolg haben. „Weil das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist", beschreibt Shriver das Phänomen. „Meine Beobachtungen und mein Gefühl sagen mir aber, dass eine große Fluktuation die Entwicklung eher hemmt." Bestes Beispiel ist Emma Raducanu: Die Sensationssiegerin der US Open 2021 verbrauchte allein in diesem Jahr vier Coaches, sportlich setzte es ausnahmslos Rückschläge.

Umgekehrt hat Iga Swiatek, die das abgelaufene Tennisjahr fast nach Belieben dominierte, in fünf Jahren auf der Profitour nur einmal ihren Trainer gewechselt, Anfang der Saison übernahm Tomasz Wiktorowski von Piotr Sierzputowski. Ergebnis: 2022 holte die Polin acht Titel, einen weniger als die Top 8 zusammen.

iga-swiatek-miami-open-2022Iga Swiatek setzt auf Konstanz - und feierte heuer einen Erfolg nach dem anderen.MehrWeniger

An der absoluten Weltspitze führen mit Jessica Pegula und David Witt bzw. Maria Sakkari und Tom Hill gerade einmal zwei weitere Gespanne professionelle Langzeitbeziehungen. Aber vielleicht liegt die tendenziell kurze Halbwertszeit der Coaches ja auch am fast gänzlichen Fehlen reiner Damen-Teams.

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Autor: Tobi
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