Die Rückhand: Eleganz vs. Effizienz
Für Tennisästheten gilt die einhändig gespielte Backhand als unabdingbarer Ausdruck von Kunst. In den letzten 20 Jahren entwickelte sich der stabilere Bihänder aber immer mehr zur Norm und avancierte mittlerweile sogar zum wichtigsten Rallye-Schlag im Sport. In Zukunft könnte sich allerdings eine non-binäre Lösung durchsetzen.
Ein Schlag wie ein Kunstwerk
Wenn sich Stefanos Tsitsipas in Stellung bringt und den Schwung voll durchzieht, machen seine breiten Schultern eine blitzschnelle Rotationsbewegung, während der Schläger explosiv auf den Ball prallt. Bogenförmig peitscht der Grieche seinen rechten Arm mit vollster Überzeugung zur stilsicheren, einhändigen Topspin-Rückhand.
Der Einhänder - ein gebietendes Statement, eine markante Ausdrucksform, ein identitätsstiftendes Kunstwerk. Es ist die einhändige Rückhand, die Gelegenheitsfans fesselt. Es ist auch jener Schlag, an den Hobbyspieler ständig feilen, um den wahren Ästheten der Szene nachzueifern. Helden wie Richard Gasquet, Justine Henin, Guillermo Vilas, Gustavo Kuerten, Amelie Mauresmo, Pete Sampras, Stan Wawrinka, Dominic Thiem und - wer sonst? - Roger Federer.
Evolution führt zur Technikänderung
Eine stabile beidhändige Rückhand wird niemals das Tor zu diesem elitären Kreis purer Eleganz öffnen. Die Bälle humorlos mit zwei Händen am Griff wegzudonnern, bedeutet andererseits einen oft sicheren Weg, Tennismatches zu gewinnen. Während der One-Hander stets die künstlerische Note ins Spiel einbringt, war in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund der Evolution bei Stil, Technik und Ausrüstung eine Trendumkehr zur beidhändigen Backhand offenbar unvermeidlich.
Dieser Wechsel hat den Bihänder inzwischen zum wichtigsten Rallye-Schlag im Tennis befördert. Gleichzeitig gilt er auch als jener Schwung, der am wenigsten von den Zusehern gefeiert wird. Dabei kann auch der Two-Hander - in stromlinienförmiger Perfektion ausgeführt - Form und Zweck wunderschön vereinen.
Erfolgsquote spricht für Two-Hander
Dahinter steckt aber wesentlich mehr: Die beidhändige Rückhand hat den gesamten Sport fundamental verändert, einem breiteren Publikum den Zugang zur Ausübung des Sports ermöglicht und nimmt so einen ausgleichenden Einfluss auf das Tennis. Denn während die einhändige Rückhand eine gute Beinarbeit und punktgenaues Timing erfordert, so kann beim kompakteren Bihänder mehr improvisiert und adaptiert werden.
Revolution statt Prozess
Dass der beidhändige Schlag von der Rückhandseite dominierend wurde, war weniger ein Prozess als eine ausgemachte Revolution. Schon lange bevor Björn Borg, Chris Evert und Jimmy Connors mit dem Bihänder an die Weltspitze stießen, hatten die Australier Vivian McGrath und John Bromwich in den 1930er-Jahren beide Hände am Griff, galten damals allerdings noch als Sonderfälle.
Zu Beginn der Open Era in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern wurde der Südafrikaner Cliff Drysdale, einst erster ATP-Chef und heute ESPN-Experte, zum eigentlichen Pionier dieser Technik, bei den Damen war es Peaches Bartkowicz, eine der „Original Nine", die den WTA-Tourvorläufer Virginia Slims Invitational bestritt.
Zwei Hände auf das schwere Racket
Chris Evert, dessen Vater ein ausgezeichneter College-Spieler war und sich später als Coach in Florida einen Namen machte, wuchs praktisch am Tennisplatz auf. „Wir hatten damals aber keine Kinderschläger. Ich habe schon mit sechs Jahren mit dem Racket vom Papa spielen müssen", erinnert sich die 18-fache Grand-Slam-Siegerin.
Da das zarte Mädchen bei der Rückhand ständig den schweren Schläger fallen ließ, versuchte es Evert frustriert mit beiden Händen. Vater Jimmy zeigte sich zunächst skeptisch, aufgrund des steigenden Erfolgs seiner Tochter wollte er aber auch nicht eingreifen. In Illinois machte der kleine Jimmy Connors eine ähnliche Erfahrung, nicht anders erging es Björn Borg in Stockholm auf der anderen Seite des Atlantiks.
Frauen stiegen schneller um
Als das Trio mit der radikalen Rückhandtechnik ins Profigeschäft einstieg, wurde die Tour von Ikonen mit konventionellen Backhands beherrscht: Rod Laver, John Newcombe, Stan Smith, Ilie Nastase, Margaret Court, Billie Jean King, Rosie Casals, Evonne Goolagong. In den folgenden drei Jahren von 1974 an holten dann Connors und Borg sieben von zwölf Majors, Evert bei den Damen sechs.
Schnell avancierten die drei Talente zu Megastars, die für die damals heranwachsende Generation eine enorme Anziehungskraft ausstrahlten. Insbesondere Frauen zählten beim einsetzenden Tennisboom zu den Begünstigten. Die fehlende Armkraft im jungen Alter bildeten plötzlich kein Hindernis mehr, sich dem Sport zu widmen.Große Vorteile beim Return
Die wenigen Profis, die heute noch die einhändige Rückhand anwenden, bringen mittlerweile auch eine gewaltige Portion Power in den Schlag. Doch bei Aufschlägen jenseits der 220 Stundenkilometer stellt selbst für Topspieler wie Thiem, Wawrinka, Gasquet und Co. die größte Herausforderung dar, überhaupt in die Rallyes zu kommen.
„Mit einer beidhändigen Rückhand das Service zu retournieren, ist wesentlich leichter", behauptet Paul Annacone, ehemalige Coach von Pete Sampras und Roger Federer.
– Paul Annacone
Nadal zeigt es gegen Federer vor
Die jahrzehntelange epische Rivalität zwischen Roger Federer und Rafael Nadal zeigte den letzten Einhand-Fetischisten endgültig die schonungslose Realität auf. Sechsmal standen sich die beiden in der Endphase der French Open gegenüber, sechsmal gewann der Spanier das Duell. Sein Erfolgsrezept änderte sich nie: hoher Topspin und extremer Kick-Aufschlag auf die Rückhandseite sowie Ausnützen der instabileren Natur und geringeren Kraft des One-Handers.
Im modernen Tennis sind Service und Return die wichtigsten Schläge. Es spricht Bände, dass Novak Djokovic, Andre Agassi und Jimmy Connors die Bestenliste beim Rückschlag der Spieleröffnung anführen, alle drei mit beidhändiger Rückhand.
Fehleranfälligkeit mit Bihänder geringer
Obwohl man mit dem Einhandschlag mehr Reichweite hat, so verfügen Bihand-Hitter neben Kraft und Stabilität über weitere Vorteile: „Du kannst beim Return wesentlich leichter den Griff wechseln", sagt Jimmy Arias, Tennischef beim Vermarktungsriesen IMG und ehemalige Nummer fünf der Welt.
– Jimmy Arias von IMG
Viele Spieler begnügen sich damit, brachiale Hochgeschwindigkeitsaufschläge bloß zu blocken. „Und selbst das ist mit einer Hand schwieriger, weil sich der ganze Arm viel mehr bewegt", erklärt Evert.
– Chris Evert
Keine binäre Philosophiefrage
Ivan Lendl, der einen soliden, variantenreichen Einhänder spielte, geht einen Schritt weiter. Müsste er neu anfangen, würde der achtfache Grand-Slam-Champion lernen, das Service mit einer beidhändigen Rückhand zu retournieren und in der Rallye auf den One-Hander setzen.
– Ivan Lendl
Doch selbst die begnadetsten Bihänder wie Djokovic und Murray nehmen nicht nur beim unterschnittenen Ball gelegentlich eine Hand vom Griff, sondern auch bei Stopps und anderen gefinkelten Schlägen. Cameron Norrie wiederum erzeugt mit seinem ungewöhnlichen Bihänder sogar einen seitlichen Spin.
Das Spiel entwickelt sich also permanent weiter. Manchmal fragt man sich, was als Nächstes kommt. Was die Rückhand betrifft, ist die Ausführung jedenfalls längst keine binäre Philosophiefrage zwischen einhändiger Eleganz und beidhändiger Effizienz mehr.