Davis Cup: Die Implosion eines Rettungskonzepts
Noch wurde der altehrwürdige Davis Cup nicht für tot erklärt, doch könnte die plötzliche Auflösung des Vertrags zwischen Event-Vermarkter Kosmos und der ITF das baldige Ende des traditionellen Nationenbewerbs bedeuten. Womöglich tritt im immer dichter werdenden Turnierkalender ja sogar der gerade aus der Taufe gehobene United Cup an seine Stelle.
Neues Format nimmt ursprünglichen Reiz
Das Bessere ist der Feind des Guten, lautet ein auf den französischen Philosophen Voltaire zurückgeführtes Sprichwort, das durch den plötzlichen, unerwarteten Kollaps des Davis Cups überaus passend erscheint. Mit viel Getöse war die Investorengruppe Kosmos rund um den spanischen Fußballstar Gerard Pique 2018 angetreten, um das Weiterbestehen des kriselnden Traditionsbewerbs mit einem drei Milliarden Dollar schweren Vermarktungsdeal über 25 Jahre zu retten.
Von Anfang an schossen sich Kritiker auf das neue, eher sperrige Format ein, zudem forderten die Organisatoren von den Topspielern ein lästiges Commitment ein. Alexander Zverev etwa boykottierte lange den reformierten Nationenvergleich, weil für ihn vor allem die Atmosphäre durch das wechselnde Heim- und Auswärtsrecht den Reiz des ursprünglichen Davis Cups ausgemacht hatte.
ITF übernimmt Durchführung selbst
Genau diese für Tennisverhältnisse etwas ausgelassenere Stimmung hatte der erstmals 1900 ausgetragene internationale Mannschaftswettstreit der Welt fast 125 Jahre lang Legionen von Fans gefesselt. In zahlreichen Ländern, strömten die patriotisch gepolten Menschen zu den Davis-Cup-Vergleichen. Die Wurzel des Übels war nicht im Bewerb an sich gelegen, sondern im langen Anlauf bis zum finalen Showdown am Saisonende.
Spekulationen um Ausstiegsgrund
Einige Szene-Kenner sagten die Implosion des von Kosmos umgesetzten Konzeptes lange voraus. Doch nun passierte es so rasch und unangekündigt, dass selbst die oberste Tennissport-Behörde überrascht wurde. Mehrere Quellen, die sich nicht öffentlich deklarieren wollen, gehen von einer Ausstiegsklausel im Vertrag aus, die es Kosmos ermöglichte, sich aus dem Deal zurückzuziehen, nachdem Nachverhandlungen gescheitert waren. Vertreter von ITF-Präsident David Haggerty sagen lediglich, sie wollen dem offiziellen Statement nichts mehr hinzufügen.
Der Davis Cup ist damit zwar noch nicht tot, könnte aber seine letzten Atemzügen hecheln. Die so umstrittene Vereinbarung mit Kosmos stellte eine Kapitulation gegenüber den lautstarken Reformern dar, die einerseits ihre Liebe zum Davis Cup bekannten, auf der anderen Seite aber die Veranstaltung modernisieren wollten, um die absoluten Topstars anzulocken und höhere Einnahmen zu erzielen. Die Umgestaltung des Bewerbs erreichte weder das eine noch das andere, erinnerte aber an ein weiteres Sprichwort: Wenn ein Geschäft zu gut ist, um wahr zu sein, ist es das dann auch.
Mehrere Versuche zur Formatanpassung
Nach zwei ziemlich gefloppten Ausgaben hatte Kosmos darum angesucht, den Event ab 2022 für fünf Jahre nach Abu Dhabi zu verlegen. Die ITF war bereit, das Vorhaben abzusegnen, ehe der Plan in der Öffentlichkeit durchsickerten und viel Empörung auslöste. „Der Davis Cup wird zu einem 14 Tage dauernden Event, das erst Mitte Dezember endet", warnte damals die australische Doppel-Legende Todd Woodbridge. „Welcher vernünftige Spieler wird in Abu Dhabi antreten und dann vor der darauffolgenden Saison nur zwei Wochen Pause machen?"
Beim Media Day der Australian Open äußerte sich nun Rafael Nadal zum Kosmos-Ausstieg und traf es einmal mehr auf den Punkt.
Ganz gleichgültig ist das Produkt Davis Cup jedoch auch den kritischen Profis nicht. Das eigene Land bei einem Team-Event repräsentieren zu dürfen, gilt nach wie vor als Ehre, wie die exzessiven Jubelbilder der amerikanischen Mannschaft zeigte, nachdem sie zu Saisonstart den United Cup gewonnen hatte. Doch wollen viele Akteure den Anforderungen eines zeitaufwendigen, potenziell auslaugenden Bewerbs, den der Großteil aufgrund mangelnder Kadertiefe kaum gewinnen kann, nicht mehr nachkommen.
Mehrheit für Beibehaltung des Bewerbs
Wie auch Kosmos erfahren musste, wird bei der Struktur des Turnierkalenders, der Jahr für Jahr dichter wird, das Problem nicht einfach verschwinden. Letztlich steht der Weltverband vor den Trümmern eines historischen, von Puristen ungebrochen geliebten Bewerb. „Mit dem Zusammenbrechen der Partnerschaft zwischen der ITF und Kosmos muss der Davis Cup wieder am Mikroskop untersucht werden", twitterte der langjährige Chef von Tennis Australia, Paul McNamee. „Es wird gegenseitige Schuldzuweisungen und enorme Spekulationen geben. Bei all dem Lärm möchte ich aber mit Nachdruck aussprechen, dass es sich lohnt, diesen Wettbewerb zu retten."
With the collapse of the ITF Kosmos partnership, Davis Cup will again come under the microscope. There will be accusations and recriminations, and enormous speculation. Amid the noise, I want to shout out at the top of my voice that it is a competition worth saving
- 🎗️ Paul McNamee (@PaulFMcNamee) January 12, 2023
McNamee selbst ist Erfinder und CEO des Hopman Cups, der ehemals Anfang Januar ausgetragene Mixed-Event mit Damen und Herren und Vorläufer des eben eingeführten, weitgehend positiv angenommenen United Cups. Jessica Pegula, Nummer drei im WTA-Ranking, zeigte sich nicht nur wegen des US-Triumphes von der Premiere begeistert. „Das Jahr mit diesen Leuten zu beginnen, war unglaublich. Es war super lustig und unvergesslich."
United Cup scheint zukunftsträchtig zu sein
Von allen Teambewerben kommt der United Cup dem altehrwürdigen Davis Cup aktuell wohl am nächsten. Der Modus mit fünf Matches pro Länderduell erwies sich ebenso als Erfolg, wie das Konzept mit gemischten Mannschaften, wodurch sich auch kleinere Tennisnationen Chancen ausrechnen dürfen. Zwar muss nach der ersten Ausgabe noch an einigen Stellschrauben gedreht werden, insgesamt wird das Event aber deutlich besser angenommen als der nach nur drei Jahren eingestellte ATP Cup, der ursprünglich als Antwort der Männer-Tour auf den Davis Cup gedacht war.
Wenn man so will, stellt der United Cup eine Art Davis Cup Light dar, obwohl sich so mancher Traditionalist noch mit einem derartigen Gedanken anfreunden muss. Eine bessere Version werden wir aber wohl vorläufig nicht bekommen. Um ein weiteres Sprichwort zu strapazieren: Alles andere wäre rausgeschmissenes Geld.