Jannik Sinner: Die Zeit ist reif
Im Vorjahr von unglaublichem Verletzungspech gebeutelt, scheiterte Jannik Sinner bei den letzten drei Grand-Slam-Turnieren jeweils nach engen Fünfsatz-Matches. Jetzt will der Südtiroler aber beweisen, dass er sein enormes Talent auch in große Triumphe ummünzen kann. Seine Finalbilanz auf der ATP-Tour ist schon jetzt überzeugend.
Siebter Titel in Montpellier
In den letzten sechs Monaten standen vor allem die beiden 19-Jährigen Carlos Alcaraz und Holger Rune im internationalen Scheinwerferlicht. Mit dem Gewinn seines siebten ATP-Titels stellte am Sonntag aber auch Jannik Sinner unter Beweis, dass er noch immer zu den größten jungen Talenten am Herren-Circuit zählt.
Im Showdown der Open Sud de France in Montpellier bezwang der Italiener den amerikanischen Serve-and-Volley-Spezialisten Maxime Cressy in 1:37 Stunden mit 7:6, 6:3 und verbesserte sein Ranking um drei Plätze auf Position 14. Dadurch polierte Sinner, der vor 15 Monaten noch auf Rang neun lag, seine beeindruckende Bilanz in Einzelfinals auf 7:1 auf, während Alcaraz bei einer Siegquote von 6:2 und Rune von 3:2 in ATP-Endspielen hält.
Bittere Major-Niederlagen
Für Sinner, der als erster Spieler in dieser Saison einen Titel ohne Satzverlust holte, könnte es diese Woche in Runde zwei des ATP500 von Rotterdam ein Wiedersehen mit Stefanos Tsitsipas geben. Im Achtelfinale der Australian Open hatte der 21-Jährige einen 0:2-Satzrückstand gegen den Griechen wettgemacht, ehe er doch noch als Verlierer vom Platz ging.
„Solche Matches können immer in beide Richtungen gehen", konstatierte der Südtiroler, der wie so viele Profis in Monaco lebt, nach dem Ausscheiden in Melbourne. „Ich hatte das Momentum auf meine Seite gezogen, habe dann im fünften Satz aber einfach zu schlecht serviert."
Schon in Wimbledon hatte sich Sinner in der Runde der letzten Acht nach einer 2:0-Satzführung gegen den späteren Champion Novak Djokovic geschlagen geben müssen, zwei Monate später erfuhr er bei den US Open abermals ein bitteres Viertelfinal-Aus gegen Carlos Alcaraz, nachdem er zuvor einen Matchball vergeben hatte.
Turin schon jetzt im Visier
Selbst habe Sinner nur die positiven Aspekte dieser drei Grand-Slam-Turniere mitgenommen, wie er in Montpellier versicherte. „Mit solchen Matches wächst du als Person. Ich habe gegen Djokovic, Alcaraz und Tsitsipas in fünf Sätzen verloren. Das zeigt, dass ich mit diesen Leuten mithalten kann, oder?" Vielleicht fehle ihm in solchen Partien manchmal die Erfahrung, räumt er ein, grundsätzlich sei er aber mit seinem Tennis zufrieden.
Immerhin kam der Rechtshänder mit der extremen beidhändigen Topspin-Rückhand in diesem Jahr mit dem Montpellier-Sieg früher aus den Startlöchern als 2022. Allerdings war Sinner in der vergangenen Saison auch von hartnäckigen Knie- und Hüftverletzungen gebremst worden und konnte erst Ende Juli in Umag seinen ersten Titel feiern.
Das angepeilte Etappenziel in dieser Spielzeit ist allerdings die Rückkehr in die Top Ten und die direkte Qualifikation für die ATP Finals in Turin. Schon 2021 war Sinner in zwei Matches als Einspringer für Stefanos Tsitsipas zum Einsatz gekommen.
Italiens 47-jährige Grand-Slam-Dürre
Seit Adriano Panattas Triumph in Roland Garros 1976 wartet Italien auf einen Grand-Slam-Sieger im Herren-Einzel, die öffentliche Erwartungshaltung auf einen Nachfolger des römischen Sandwühlers ist in der Heimat enorm. „Den größten Druck lege ich mir selbst auf", meint Sinner, der Viertelfinalteilnahmen bei allen vier Majors vorzuweisen hat.
Abgerechnet wird zum Schluss
In wenigen Wochen stehen mit dem Sunshine Double in Indian Wells und Miami die ersten ATP1000-Events des Jahres an. Und die Bedingungen auf den US-Hartplätzen liegen dem Schützling von Starcoach Darren Cahill, seine einzige Finalniederlage auf der ATP-Tour erlitt er vor zwei Jahren beim Masters in Florida.
Und diesmal dürfte mit Novak Djokovic, dem aufgrund seines Covid-19-Impfstatus aller Voraussicht nach die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert wird, der größte Konkurrent fehlen. Den richtigen Auftrieb sollte sich Sinner letzte Woche an der französischen Mittelmeerküste jedenfalls geholt haben.
Abgerechnet werde ohnehin erst am Ende der Karriere. „Bis dahin habe ich viel Zeit. Ich bin ja noch jung."