Elena Rybakina: Die Ruhe selbst
Nach außen hin stets ausgeglichen und gelassen, brodelt es ab und an doch gewaltig im Innenleben der Elena Rybakina. Gleichzeitig rückt die junge Kasachin nach ihrem Wimbledon-Triumph und dem Finaleinzug bei den Australian Open immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie sehr lässt sie den steigenden Druck an sich herankommen?
Achterbahn zum Ausgleich
Zu Elena Rybakinas ungewöhnlichen Leidenschaften abseits des Tennisplatzes zählen Achterbahnfahrten. Für die meisten Menschen ist lautes Schreien eine unabdingbare Begleiterscheinung solcher Adrenalinkicks. Der Kasachin hingegen zaubern die wilden Ritte in Vergnügungsparks lediglich ein freudiges Lächeln hervor.
Generell scheint die 23-Jährige kaum etwas aus der Bahn werfen zu können. Selbst das verlorene Australian-Open-Finale gegen Aryna Sabalenka nimmt sie mit einigem Abstand relativ gelassen und zieht auch positive Rückschlüsse daraus.
Vorbild Roger Federer
Dieses ruhige Gemüt ermöglicht es der amtierenden Wimbledon-Championesse, pfeilschnelle Services und unerreichbare Grundschläge mit höchster Präzision aus dem Ärmel zu schütteln, ohne ihre ausgeglichene Haltung zu verlieren. Ihre flachen, langen Bälle schmettert die stets riskant spielende Rechtshänderin ihren Gegnerinnen von beiden Seiten mit einer schieren Leichtigkeit vor die Füße, zeigt dabei aber nur selten Emotionen.
In Anbetracht ihres Spielstils erstaunt es umso weniger, dass Rybakina, wie so viele Tennisspieler ihrer Generation, in ihrer Jugend Roger Federer verehrte. Vor allem die so ästhetischen Bewegungen und das breitgefächerte Schlagrepertoire des 20-fachen Major-Champions bewundert die gebürtige Russin.
„Am Netz muss ich mich allerdings noch verbessern", meint Rybakina in Bezug auf ihre eigene Spielanlage. Mag sein, doch lässt die Nummer zehn der Welt, die auch im Doppel über enorme Erfahrung verfügt, gerade beim Volley ähnlichen viel Gefühl erkennen, wie der Schweizer Maestro.
Bekanntheitsgrad steigt
Ihr Leben habe sich seit dem Einzeltriumph bei den All England Championships vergangenen Sommer nicht wesentlich geändert.
Doch was macht Elena Rybakina tatsächlich wütend? „Auch ich habe natürlich meine Stimmungsschwankungen. Im Grunde kann sogar eine Banalität meine Laune verderben." Bei der Arbeit ist eine derartige Anwandlung allerdings nicht auszumachen, einen Schläger sah man die dreimalige Turniersiegerin auf der WTA-Tour noch nie werfen. „Vielleicht wäre es aber manchmal sogar besser, um nicht alles in mir aufstauen zu lassen", hält sie sich diese Option mit einem Augenzwinkern offen.
Berufung statt Beruf
Trotz erkennbarem Talent war sich Rybakina dementsprechend unsicher, ob sie nach ihrem Schulabschluss in die Profitour einsteigen oder vielleicht doch studieren sollte. Andrey setzte sich für die akademische Ausbildung ein. „Er hat aber meine Erfolge gesehen und dann einfach gemeint, okay, mach es."
Wechsel nach Kasachstan
Mit dem Umstieg in die Eliteklasse trat prompt der kasachische Verband an sie heran. „Das Angebot hat meine Entscheidung erleichtert. Ich habe meine Staatsbürgerschaft gewechselt, weil sie wirklich an mich geglaubt haben", erzählt Rybakina, die im Nachwuchsbereich nie einen eigenen Coach zur Verfügung hatte. „Und damals war ich noch gar nicht so gut. Aber sie haben mir das Vertrauen geschenkt und mich sehr unterstützt."
Obwohl sie in ihrem jungen Alter bereits zwei Grand-Slam-Finals bestritten hatte, wurde sowohl beim Showdown 2022 in Wimbledon als auch jenem im Januar in Melbourne offenkundig, wie seidenzart ihre Nerven auf den größten Bühnen des Sports sind. „Zu viel Druck bringt mich definitiv aus dem Konzept", gesteht Rybakina, die von bisher 24 Matches gegen Top-10-Spielerinnen immerhin zehn gewinnen konnte.
Doch Druck ist ein Privileg, pflegte schon Billie Jean King zu predigen. Angesichts ihrer stetigen Erfolge steigt freilich auch die eigene sowie die öffentliche Erwartungshaltung. Ob Rybakina ihre innere Ruhe bei dem nun stärker auf sie gerichteten Scheinwerferlicht dauerhaft bewahren kann?