Wer krönt sich zur neuen und insgesamt 28. Nummer eins der Welt? Casper Ruud und Carlos Alcaraz spielen sich im Endspiel der US Open am Sonntag, um 22:00 Uhr, die Spitzenposition direkt aus. Durch den Finaleinzug beider Anwärter steht schon jetzt fest, dass Marcelo Ríos einziger Profi bei den Herren bleibt, der trotz Führung in der Weltrangliste nie ein Grand-Slam-Finale spielen durfte. Übrigens hatte auch Ivan Lendl dies zum Zeitpunkt seiner Thronbesteigung nicht geschafft, doch folgten stolze 19 Major-Showdowns, von denen er acht gewann.
Die Finalisten, die beide im Vorjahr für die Auszeichnung des Aufsteigers des Jahres nominiert waren, würden durch das Erklimmen der Weltranglistenspitze nebenbei auch Rekorde brechen. Casper Ruud wäre nicht nur der erste Norweger auf dem Platz an der Sonne, sondern würde mit der Verbesserung von Rang sieben auf eins den bislang größten Sprung im ATP-Ranking machen. Carlos Alcaraz wiederum wäre der erste Teenager und damit gleichzeitig jüngste Spieler am Tennishimmel. Mit derzeit 19 Jahren und fünf Monaten hätte er theoretisch sogar bis Februar 2024 Zeit, Lleyton Hewitts Bestmarke wegzuschnappen.
Im Head-to-Head konnte der Spanier beide bisherigen Vergleiche für sich entscheiden, weder auf der roten Asche von Marbella 2021 noch am Hartplatz von Miami im vergangenen Frühling musste er gegen seinen Kontrahenten einen Satz abgeben. Und die letzte Partie vor einem halben Jahr hat für den sonntägigen Kracher durchaus Aussagekraft. Denn immerhin bestritten die Protagonisten in Florida ein Masters-Finale, gespielt wurde damals wie nun in New York auf einem Laykold-Belag.
Was spricht für US Open Finalsieg von Casper Ruud?
Neun Titel hat Casper Ruud in seiner noch jungen Karriere eingefahren, allerdings ausschließlich auf ATP250er-Ebene. Doch hat der Mann aus Oslo im Gegensatz zu seinem Rivalen bereits die Erfahrung durchlebt, in einem Grand-Slam-Finale zu stehen, gegen Rafa Nadal war im Juni in Roland Garros aber nichts zu holen.
Verglichen mit den French Open wirkt der in seinen Grundschlägen so solide Sohn des Ex-Profis Christian Ruud aber deutlich aggressiver, nimmt den Ball früher und lässt seinem Gegner dadurch weniger Zeit. Die typische skandinavische Tugend, geduldig auf seine Chance zu warten, unterstrich er beim Satzball des ersten Durchgangs gegen Semifinal-Gegenüber Karen Khachanov überaus eindrucksvoll, als der Ball unfassbare 55-mal über das Netz flog. Auch auf seine wuchtige Vorhand und den Aufschlag, mit dem er enormen viel Kick generiert, konnte sich Ruud in New York fast immer verlassen.
Und mit einer Gesamtspielzeit von 18:28 Stunden musste der 23-Jährige für den Finaleinzug bei den US Open knapp zwei Stunden kürzer arbeiten als sein Gegner, was sich über zwei Wochen und auf sechs Matches verteilt vielleicht nicht wesentlich auswirken mag. Allerdings gingen die letzten drei Partien von Alcaraz jeweils über fünf Sätze und endeten allesamt zu später Stunde. Diese immense physische Belastung dürfte wohl auch an einem derart austrainierten Modellathleten nicht spurlos vorbeigehen.
Nicht nur die körperliche Fitness könnte sich als entscheidender Faktor erweisen. Ruud hatte auf dem Weg ins Finale die wohl etwas angenehmere Auslosung und musste mental nicht so sehr an seine Grenzen gehen. Daher stellt sich die Frage, wie sehr der Shootingstar aus El Palamar nach den harten Matches in der zweiten Turnierwoche eine psychische Erschöpfung spüren wird. Immerhin hatte er nach seiner fantastischen Sandplatzsaison ebenfalls einen leichten Leistungsabfall verzeichnet.
Was spricht für US Open Finalsieg von Carlos Alcaraz?
Mit seiner spektakulären Spielweise hält Carlos Alcaraz die Intensität der Ballwechsel permanent hoch und gibt seinen Gegnern kaum Zeit zum Durchatmen. Die äußerst seltene Mischung von Kraft, Präzision, Finesse und Spielwitz eröffnet dem ersten Teenager in einem US-Open-Finale seit Pete Sampras 1990 bei praktisch jedem Schlag zahlreiche Möglichkeiten, die ab und an auch in Fehlentscheidungen resultieren. Unter dem Strich sind aber die meisten Gegner mit seinem außerordentlichen Schlag-Repertoire schlicht überfordert.
Zudem gilt der Schützling von Juan Carlos Ferrero mit seinen erst 19 Jahren schon jetzt als fittester Spieler auf der Tour, echte Einbrüche nahm man trotz der Serie an Marathon-Partien inklusive eines abgewehrten Matchballes in New York bisher nicht wahr. Dass er mental ebenfalls unheimlich gestählt ist, bestätigt ein Blick auf die Statistik: Neun Matches über die volle Distanz hat der Weltranglistendritte in seiner Karriere bestritten, acht davon gewann er, bei den US Open lautet diese Bilanz 5:0.
Und auch wenn es von der Körpersprache her nicht zu erkennen war, zeigte Casper Ruud wiederum durch für ihn ungewöhnliche Eigenfehler phasenweise sehr wohl Nervosität, fing sich aber andererseits immer recht schnell wieder. Apropos Ruud: Mit einem Triumph über den Norweger wäre Alcaraz der erst dritte Spieler nach Stefan Edberg in Flushing Meadows 1992 und Gustavo Kuerten in Paris 1997, der nach drei aufeinanderfolgenden Fünfsatz-Schlachten ein Grand-Slam-Turnier gewinnt.
Während Ruud am Sonntag beweisen kann, dass auch er ein Mann für die großen Momente ist, hat der viereinhalb Jahre jüngere Carlos Alcaraz diese Prüfung bereits erfolgreich bestanden. Von seinen fünf Titeln eroberte er zwei auf Masters-Niveau, in Miami wie erwähnt im Endspiel gegen den sonntägigen Widersacher, und zwei auf ATP500-Ebene. Und selbst wenn der Iberer im Gegensatz zum Skandinavier in seinem ersten Major-Finale serviert, weist er mit 77 Prozent gewonnener Matches eine bessere Grand-Slam-Erfolgsquote auf als Ruud, der bei 64 Prozent hält.
„Dass wir beide direkt gegeneinander um die Nummer eins spielen, ist eine ideale Situation", bezeichnet Casper Ruud die Ausgangslage im Ranking-Duell als fair. Alcaraz sei ein unglaublich elektrisierender Spieler, der stets mit viel Freude am Court agiere und unglaubliche Rallies gehen könne, führt der leichte Außenseiter weiter aus.
„Wenn ich gegen ihn gewinnen will, muss ich sehr präzise spielen und versuchen, ihn mit langen Schlägen weit hinten halten. Denn sobald er in den Court hereinkommt, kann er alles mit dem Ball anstellen."
Für beide Spieler sei es das bisher größte Match ihrer Karrieren. „Die Nerven werden deshalb garantiert eine Rolle spielen." Die Erfahrung vom Finale in Roland Garros will Ruud aber zu seinen Gunsten nutzen.
„Ich darf mich nicht davon ablenken lassen, den Pokal im Hintergrund und die Promis in den Zuschauerrängen zu sehen. Diesmal gehe ich hoffentlich besser mit dieser Situation um. Dass ich inzwischen weiß, so weit in Major-Turnieren kommen zu können, macht aber auch etwas mit deinem Selbstvertrauen."
„Physisch fühle ich mich wirklich gut. Die täglich harte Arbeit zahlt sich jetzt eben aus", will Carlos Alcaraz erst gar keine Diskussionen um den körperlichen Verschleiß aufkommen lassen.
„Wenn die Physis passt, tust du dir auch mit der psychischen Komponente leichter. Jetzt bin ich einfach nur glücklich, das Endspiel erreicht zu haben."
Trainer Ferrero hatte ausgerechnet nach dem Finaleinzug bei den US Open vor 19 Jahren die Weltranglistenführung erobert. „Der Kampf um die Nummer eins ist zwar ganz nahe, andererseits aber auch weit weg. Seit ich ein kleiner Bub bin, träume ich davon. In erster Linie geht es aber um den Grand-Slam-Titel." Diesen holte Ferrero damals in New York übrigens nicht. Die Favoritenrolle weist Alcaraz von sich.
„Casper kennt schon das Gefühl, in einem Grand-Slam-Finale zu stehen. Und meine Bilanz gegen ihn zählt in diesem Match nicht, er hat unglaubliche zwei Wochen hinter sich. Ich muss alles geben, was ich habe und die mentale Seite in den Griff bekommen. Gleichzeitig werde ich jeden Moment genießen."
Wettquoten vom 10.9.2022 – 13:45 Uhr – Bitte beachte, dass die Quoten der Buchmacher sich laufend ändern können / Der Quotenvergleich ist nur eine Auswahl der Redaktion / Es gelten die AGB der Anbieter / Wetten erst ab 18+ / Text von 10.9.2022 / Alle Angaben ohne Gewähr
Obwohl dieses Finale auch ein direktes Duell um die Nummer eins im Herrentennis darstellt und der Verlierer am Montag fix Platz zwei im ATP-Ranking einnehmen wird, sehen die internationalen Wettanbieter die Rollen klarer verteilt als in den Semifinal-Clashes. Die Buchmacher räumen Carlos Alcaraz mit Wettquoten zwischen 1,44 und 1,50 mehr Chancen auf seinen ersten Grand-Slam-Titel ein als Casper Ruud, für den Cloudbet im Falle eines Triumphes sogar 2,87-mal den Einsatz auszahlen würde.
Das Team von tenniswetten.de geht in Anbetracht der Umstände von knapperen Kräfteverhältnissen aus. Alcaraz verfügt insgesamt vermutlich über mehr Waffen als Ruud, die drei Fünfsatz-Matches in Serie müssen aber in irgendeiner Form an der Substanz des Spaniers genagt haben. Und kumuliert 13:28 Stunden in Achtel-, Viertel- und Halbfinale unter Hochspannung zu stehen, geht auch an die mentalen Reserveren. Andererseits zeigte sich der 19-Jährige nervlich bisher eher stabiler als Schnellarbeiter Ruud.
Weiters ist für Sonntag in New York Schlechtwetter angesagt, wodurch das Dach des Arthur Ashe Stadiums geschlossen werden müsste. Die langsameren Bedingungen bei höherer Luftfeuchtigkeit würden dem Norweger vermutlich einen leichten Vorteil verschaffen, jedoch keinen so großen wie gegen Brachialschwinger Matteo Berrettini im Viertelfinale.
Im Endeffekt wird sich unserer Einschätzung nach der Final-Novize dank der größeren spielerischen Möglichkeiten durchsetzen, aber nicht ohne neuerlich seine Leidensfähigkeit unter Beweis stellen zu müssen.
Unser Tipp:
Alcaraz gewinnt in fünf Sätzen, 20Bet bietet für dieses Ergebnis die durchaus attraktive Quote von 5,65 an.
Tobi hat die Finalvorschau Ruud - Alcaraz verfasst
Seit 25 Jahren bin ich als Sportjournalist für meinungsbildende überregionale Medien tätig und habe u.a. von Olympischen Spielen, Fußball-Weltmeisterschaften und Tennis-Grand-Slam-Turnieren vor Ort berichtet. Durch die Pressearbeit für nationale Sportverbände und Fernsehsender ist mir zudem auch die PR- und Kommunikationssparte der Branche bestens vertraut. Dem Tennissport fühle ich mich als passionierter Hobbyspieler nicht nur beruflich eng verbunden.
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