Naomi Osaka: War's das?

tobi-redaktionTobi
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Anzeichen einer Entfremdung und ein fehlendes Commitment gegenüber dem Sport legen den Schluss nahe, dass Naomi Osaka der Tenniswelt bald den Rücken kehren könnte. Selbst scheint die viermalige Grand-Slam-Siegerin noch immer auf der Suche zu sein. In der nie angestrebten Rolle im gesellschaftlichen Scheinwerferlicht fand sich die Japanerin jedenfalls nie zurecht.

Verschlüsselte Botschaft?

Mitte Oktober feierte Naomi Osaka ihren 25. Geburtstag und dankte auf Instagram allen Gratulanten, die ihr eine Nachricht hinterlassen hatten. Sie beendete das Posting mit den Worten: „Ich weiß wirklich nicht, was ich getan habe, um all das zu verdienen. Ich liebe euch und bin mir sicher, wir sehen uns."


Fans und Beobachter wollen darin eine verschlüsselte Botschaft verstanden haben, dass ihr Comeback unmittelbar bevorsteht. Andere, die Osakas professioneller Ambivalenz und des stets begleitenden Dramas leid sind, lasen lediglich banale, unverbindliche Worte heraus. „Wir sehen uns. Was auch immer."

Fakt ist, dass die Unzufriedenheit der Japanerin mit ihrem Tennis nach dem Einzug ins diesjährige Miami-Finale ständig wuchs. Danach gewann sie nur noch zwei Tour-Matches und verschwand im Anschluss an eine Kurzvorstellung in Tokio Mitte September völlig von der Bildfläche. Selbst ihr von Glamour-Fotos und Selfies geprägter Social-Media-Auftritt ist seit den US Open völlig frei von sportbezogenem Content. Hat das Tennis die viermalige Grand-Slam-Siegerin für immer verloren? Und wenn ja, wie?

Nicht für Scheinwerferlicht geschaffen

Dass Osaka in einen Sturm geraten ist, der ihre Karriere massiv beeinträchtigte, steht außer Zweifel. Mit ihrer schüchternen Persönlichkeitsstruktur war sie kaum darauf vorbereitet, über Nacht zum Star zu werden. Doch missinterpretierte und ignorierte sie auch selbst gewisse Anforderungen, die ihr Beruf mit sich bringt und begab sich in ein Scheinwerferlicht, für das sie womöglich gar nicht geschaffen ist.

Umgekehrt wandte sich die siebenmalige Titelgewinnerin auf der WTA-Tour auch von der Tennisgemeinschaft ab, was zu weiteren Komplikationen führte. Freilich konnte sie sich schon eine lebensverändernde Summe an Wohlstand erarbeiten, die sie von der Abhängigkeit des Sports befreit hat. Osaka ist laut Wirtschaftszeitschrift Forbes die bestbezahlte Sportlerin der Welt, die 27 Millionen Dollar an eingespieltem Preisgeld machen nur einen Bruchteil ihres Vermögens aus.

Erster Grand-Slam-Titel als Knackpunkt

Der Aufstieg Osakas zwischen 2016 und 2018, während dessen sie sich von einer scheuen, schrullig-charmanten Newcomerin zu einem alles dominierenden Champion avanciert war, erfolgte völlig ohne Sicherheitsnetz. Doch das Drehbuch wies erhebliche Lücken auf, als sich ihr Kindheitsidol Serena Williams an einem schwülen Spätsommerabend im US-Open-Finale in den Akt drängte.

Das überaus hart umkämpfte Match wurde im entscheidenden dritten Satz durch eine heftige Kontroverse zwischen Williams und Stuhlschiedsrichter Carlos Ramos praktisch ruiniert, die den Triumph Osakas völlig überschattete. Die damals 20-Jährige sah sich bei der Siegerehrung unter Tränen dazu genötigt, sich beim Publikum zu entschuldigen dafür zu entschuldigen, dass sie allen Ablenkungen zum Trotz ihre Nerven in Zaum gehalten und letztlich den Titel gewonnen hatte.


Videozusammenschnitt der Auseinandersetzung zwischen Williams und dem Schiedsrichter beim US Open-Finale:


Auch die Siegerehrung war von den Geschehnissen und den Buhrufen aus dem Publikum überschattet. Bei Naomi Osaka wollte sichtlich keine Freude über ihren Erfolg aufkommen.


Auch das folgende Major in Melbourne 2019 entschied Osaka für sich, doch Insider erkennen in der unangenehmen Erfahrung in New York ein einschneidendes Trauma, das sich erst danach richtig auswirkte. Ein erster Hinweis darauf könnte die Trennung von ihrem Münchner Erfolgscoach Sascha Bajin gewesen sein, der Rest der Saison verlief jedenfalls enttäuschend.

Mit Doppelrolle als Sportlerin und Aktivistin überfordert

Der Beginn der Pandemie im Jahr 2020 stoppte die Tour dann für sieben Monate. Nach der Öffnung sollte die Welt eine andere sein. Die Profi-Touren mussten sich an Turniere ohne Zuschauer, aber mit restriktiven Gesundheitsprotokollen gewöhnen. Indessen tobten soziale Unruhen in Osakas Wahlheimat USA. Die ehemalige Weltranglistenerste fand ihre Rolle im Aktivismus und wurde zu einer der sichtbarsten Sportheldinnen im Protest gegen Polizeigewalt.

Im selben Jahr triumphierte sie zwar neuerlich bei den US Open und wenige Monate später auch wieder in Australien. Doch nach dem ersten Corona-Sommer hatte man Osaka plötzlich auch außerhalb der Sportwelt wahrgenommen und sie in eine Position gedrängt für die sie schlicht kein Talent hatte: als öffentliche Person. Die selbst befeuerten Ablenkungen steuerten zum enormen Druck bei, der in ihrem Inneren keimte.

Angeschlagene mentale Gesundheit

Bei den French Open 2021 gerieten diese Kräfte außer Kontrolle, als Osaka erklärte, den verpflichtenden Pressekonferenzen nach den Matches fernbleiben zu wollen. Die Turnierveranstalter drohten mit Disqualifikation, Spielerkollegen drückten Verständnis aus, wenngleich sie die Medientermine als Teil des Jobs ansahen. Schließlich führte die Betroffene ihre angeschlagene psychische Gesundheit als Grund für ihre Entscheidung an und zog sich freiwillig aus dem Turnier zurück, was unmittelbar eine weltweite Debatte zu diesem Thema auslöste. Plötzlich traten zahlreiche Spitzensportler hervor, die über eigene mentale Probleme berichteten.

Ich denke nicht, dass die Organisatoren in Roland Garros gut mit der Situation umgegangen sind", meint Patrick McEnroe. „Sie haben Osaka mit einer Suspendierung gedroht, statt zu versuchen, einem Menschen mit Problemen zu helfen. Naomi hat sich davon nicht erholt. Man muss nur ihre Ergebnisse anschauen."

Tatsächlich weist die 25-Jährige seither eine Matchbilanz von 19:12 auf, Titel konnte sie in diesem Zeitraum keinen gewinnen.

Tiefer Fall nach Paris-Rückzug

Spekuliert wird in der Szene auch, ob die um ein Jahr verschobenen Sommerspiele, die keine zwei Monate nach dem Paris-Rückzug begannen, mit ihrer Krise zu tun haben könnten. Osaka, die zwischen den zwei Saisonhighlights kein Turnier bestritten hatte, wurde anderen hochdekorierten japanischen Sportlern vorgezogen, in Tokio das olympische Feuer zu entfachen. Eine durchaus umstrittenen Entscheidung, hatte der sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ohnehin unwohl fühlende Tennisstar doch in dem Jahr kaum gespielt. Im Zeichen der Ringe enttäuschte Osaka dann auch mit einer Drittrunden-Niederlage gegen Marketa Vondrousova, die Nummer 41 der Welt.

Weitere Vorfälle folgten. Bei der US-Open-Pleite gegen Rookie Leylah Fernandez flog der Schläger, danach erklärte sie, dass Tennis sie nicht länger glücklich mache und sie eine Pause benötige. Zu Beginn dieses Jahres kehrte Osaka zurück, mit dem Drittrunden-Aus bei den Australian Open purzelte sie auf Platz 85 im WTA-Ranking. In Indian Wells brach sie wegen Zwischenrufen eines ungehobelten Zuschauers in Tränen aus. Miami stellte den einzigen Lichtblick 2022 dar, obwohl sie das Finale gegen Iga Swiatek mit 4:6, 0:6 verlor. Danach dominierte eine Serie von Auftaktniederlagen und Absagen.

Wettkampf scheint ihr nicht abzugehen

Für ein Comeback der aktuellen Nummer 42 der Welt wäre ein strukturiertes Umfeld sicher von Vorteil. Dafür gibt es aber kaum Anzeichen. Osaka hat inzwischen eine ganze Handvoll Coaches verschlissen und wird derzeit von ihrem Vater betreut. Von einem unterstützenden Partner ist nichts bekannt. Und ihr Engagement in der Tennis-Community gilt als minimal.

Damit eine Tenniskarriere funktioniert, musst du dich darin vertiefen", sagt McEnroe, der heute als TV-Experte beim Sportsender ESPN arbeitet. „Viele von uns lieben das Spiel, obwohl wir manchmal auch ein wenig Abstand gewinnen müssen. Tennis ist vielleicht nur ein Teil unseres Lebens, das ist auch völlig okay. Aber ein wesentlicher Teil."

Die Williams-Schwestern wurden dafür gelobt, ständig ihren Horizont erweitern zu wollen und andere Interessen zu entwickeln. Osaka mag sich daran anlehnen, sie ist aber nicht Serena. Die jüngere Williams liebte Tennis, sie liebte den Wettkampf. Bei Osaka hatte man in den vergangenen zwei Jahren eher das Gefühl, dass der Wettkampf das Letzte ist, wonach sie sich sehnt.

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Das kommende Jahr könnte entscheidend werden

Die Tochter eines Haitianers und einer Japanerin scheint auf der ständigen Suche zu sein, wer sie ist und wer sie sein will. Mit Wurzeln in drei verschiedenen Ländern großen Erfolg in einem von Weißen dominierten Sport zu haben, kann zu einer Identitätskrise führen, durch die sie sich mühsam durcharbeiten muss.

Um die Bedeutung des Tennissports in ihrem Leben zu finden und ein erfolgreiches Comeback zu feiern, das Freude und Hunger wiederaufleben lässt, ist es keinesfalls zu spät. Das kommende Jahr könnte einen Wendepunkt darstellen, damit der Aufstieg und Fall der Naomi Osaka keine bereits beendete Geschichte ist.

Wir wissen einfach nicht, was sie will", rätselt Patrick McEnroe: „Sie weiß es vermutlich selbst nicht."

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Autor: Tobi
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